Dirigenten des Genusses

Dirigenten des Genusses

Hier ein Lächeln, dort eine helfende Hand, dann die eigenen Aufgaben und dort drüben eine kleine Korrektur – 16 Stunden vorüber. Thom Christen, Geschäftsführer von Landhaus Liebefeld, überlässt nichts dem Zufall, aber vieles der Inspiration.

Die Fensterläden sind geschlossen, das Restaurant offen. Was ist los im altehrwürdigen Landhaus zu Liebefeld? Türe auf, Vorhang auf und schon erstrahlt das Innere dank Aberdutzenden von Kerzen. Künstliches Licht: Fehlanzeige. Das Ambiente entschleunigt die Gäste so schnell wie ein sanfter Schneefall an einem Weihnachtstag. Wäre da nicht der umtriebige Thom Christen. Die Treppen hoch aus dem Weinkeller zeigt er auf einen zehnjährigen Chasselas, den es zu probieren gilt. «Unglaublich, der hält sich so lange und erstrahlt noch immer in grossartiger Frische», freut sich der Geschäftsführer.

Fachkräftemangel muss nicht sein

Es sind solche Überraschungen wie das Kerzenlicht, die innovativen Ideen auf dem Teller oder eben ein mundender alter Chasselas, gepaart mit der Beständigkeit von Werten, die einem Gastrobetrieb den Charme einhauchen, den es braucht, damit man immer wieder hingeht. «Es gibt viele junge Gastwirte, die neue Konzepte und frische Ideen haben. Das beeindruckt mich. Bern ist gastronomisch ganz weit vorne», schwärmt Christen. Sie sind – wie er – das Gegenstück zu den Restaurantketten, die sich immer mehr ausbreiten. Wobei die nicht immer schlecht sein müssen, wie der Koch zu bedenken gibt: «Oft können traditionelle Häuser gerade dank einer solchen Übernahme am Leben erhalten werden.» Gut so, denn eigenständige Betriebe wie das Landhaus Liebefeld gibt es nicht mehr so viele. Zumindest nicht in der Grösse. 50 Mitarbeitende beschäftigt der Berner. Probleme, diese zu finden, kennt er kaum. «Wichtig ist es, junge Menschen einzubinden», betont er. 50 Lernende in 15 Jahren hat er bereits ausgebildet und wenig später nennt er zahlreiche Namen von solchen, die mittlerweile verantwortungsvolle Positionen innehalten. «Stelleninserate schalte ich keine mehr, ich bilde junge Menschen aus und gebe ihnen eine Chance.» Manchmal auch zwei. Christen hat bereits den Sozialstern gewonnen und integriert  immer wieder Jugendliche, deren Start ins Arbeitsleben noch nicht funktioniert hat. Und als wäre es inszeniert, erscheinen just in diesem Moment einige junge Servicefachkräfte. Und schon ist der Chef gedanklich wieder weg vom Gespräch, eine junge Frau hat die Gäste an der Apérobar noch nicht begrüsst, das soll nachgeholt werden. Das Gespräch ist eindringlich, die Worte empathisch. Eine bestimmte Freundlichkeit.

Qualität für alle statt Label für wenige

Dann erst kehrt Christen wieder zurück zum Gespräch. «Wir erwarten heute 150 Gäste, das Haus ist voll und trotzdem soll jeder spüren, dass man sich Zeit nimmt», erklärt er. Die Betonung liegt auf jeder. Denn ob Rotisserie, Gaststube oder Konzertgäste wie an diesem Abend, ein Gasthof muss für alle etwas haben. «Früher hatten wir mal 17 Gault-Millau-Punkte. Das ist zwar viel, hält aber auch jene Gäste davon ab vorbeizukommen, die einfach nur schnell ein Mittagessen einnehmen wollen», so Christen. Die edle Tafel mit der Punktzahl sucht man deshalb vergebens am Eingang des Landhauses. Es ist ein wenig wie der alte Chasselas, der auf dem Tisch steht: Es ist nicht das edle Etikett eines «Etepetete-Weins», das vorgaukelt, besonders edel zu sein, nein es ist die positive Überraschung, wenn sich ein «einfacher» Chasselas als grundehrlicher Spitzenwein entpuppt. Das ist dann Qualität für alle statt eines Labels für wenige.

Legenden werden geschaffen

Inzwischen trudeln die ersten Gäste ein, Begrüssungsfloskeln und Gelächter erfüllen die Räumlichkeiten mit Heiterkeit. Die Räume füllen sich, die Hektik beginnt. Möchte man meinen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie eine schier endlos ineinander greifende Reihe von eingeübten Arbeitsschritten in der Lage ist, so viele Bestellungen und Sonderwünsche auf einmal zu bewältigen. Nicht mal die Kerzen scheinen gestresst – kein Lodern, kein Flackern, jeder Handgriff sitzt. Was nicht bedeutet, dass nicht auch mal improvisiert werden muss. Christen nennt ein Beispiel: «Es kam einmal ein Wunsch nach Desserts für 100 Personen an einem Anlass. Ich war allein und habe mir kurzerhand ein Gäste-Paar zur Hilfe genommen. Von dem Abend reden diese tollen Helfer heute noch.» Und er wohl auch, wie sein Schmunzeln verrät. Aber es sind Geschichten wie diese, die in und um Bern aus Restaurants Legenden machen, Orte der Einkehr und des Genusses. Es entsteht ein Gefühl der Dankbarkeit für solche Gasthöfe.

Thom Christen orchestriert derweil das Ensemble aus Küchenmannschaft und Service. Und die Einsicht reift: Solche wie er sind die Dirigenten des Genusses.

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