«Eigentlich fehlt nur noch der Kuss», flüstert eine Frau im Publikum. Tatsächlich: Als der Festgottesdienst in der Dorfkirche Mühleberg auf seinen Höhepunkt zusteuert, klingt es fast wie an einer Hochzeit. «Tania Guillaume, willst du die Frohe Botschaft von Jesus weitersagen aufgrund der Heiligen Schriften, nach bestem Wissen und Gewissen?», fragt Markus Vögtli, der Pfarrer von Murten, der an diesem Sonntagmorgen die sogenannte Pfarrinstallation leitet. Und weiter: «Willst du auch alle Not bekämpfen, nach Leib, Seele und Geist?» «Ja, mit Gottes Hilfe», antwortet Tania Guillaume. Nach dem Ja-Wort der Pfarrerin nimmt Vögtli die vielen anwesenden Mühlebergerinnen und Mühleberger in die Pflicht: «Seid ihr bereit, die Pfarrerin und den Kirchgemeinderat zu unterstützen und nicht nur zu Hause zu sitzen und zu schimpfen? Seid ihr bereit, mit der Pfarrerin zu reden und nicht nur über sie zu reden?» «Ja!», verspricht auch die Gemeinde vielstimmig.
Der Anlass ist für die Kirchgemeinde Mühleberg ein Generationenereignis: Tania Guillaumes Vorgänger Christfried Böhm war fast 35 Jahre im Amt gewesen. Zwei Wochen zuvor hat er sich von seiner Gemeinde in den Ruhestand verabschiedet. Zur Amtseinsetzung seiner Nachfolgerin sind rund 220 Menschen gekommen, die denkmalgeschützte Kirche ist fast bis auf den letzten Platz besetzt. Der Gottesdienst wird festlich umrahmt durch Ursula Burkhardt an der Orgel und den Jodlerclub Heimelig aus Laupen, in dem auch zahlreiche Mühlebergerinnen und Mühleberger mitwirken. Als der Jodelclub «Üse Vater» singt, ein gesungenes «Vater Unser», bekommen viele Zuhörerinnen und Zuhörer Gänsehaut. Den roten Faden der Feier bildet jedoch ein Lied von Mani Matter: «Ir Ysebahn». Darin blicken die einen Passagiere ständig rückwärts in die Vergangenheit, während die anderen immer vorwärts in die Zukunft schauen. Ihre Perspektiven sind so verschieden, dass sie deswegen in Streit geraten. Markus Vögtli, der Amtseinsetzer, und Tania Guillaume, die ins Amt Eingesetzte, begleiten das Lied musikalisch gleich selbst: er an der Gitarre, sie am Handörgeli. Die neue Pfarrerin ist offensichtlich eine Frau mit vielen Talenten.
1969 wurde Tania Guillaume in Lausanne geboren, die obligatorische Schulzeit absolvierte sie in Bern, die Matura machte sie in Genf. Es folgte eine musikalische Ausbildung zur Organistin, ein erstes Studium in Medizin und schliesslich noch ein Studium in Theologie. Bevor sie nach Mühleberg kam, führte der Pfarrberuf sie nach Beirut im Libanon, dann nach Graubünden, ins Appenzellerland und zuletzt nach Freiburg. Für Markus Vögtli, selbst in Mühleberg aufgewachsen, ist Matters Lied von der «Ysebahn» ein Bild für die Kirchgemeinde: «Die einen schauen immer zurück, die anderen springen jedem neuen Trend hinterher.» Man könne aber, so Vögtlis Vorschlag, in einem Zug auch seitwärts aus dem Fenster schauen – «und versuchen, Kirchgemeinde zu sein in der Welt von heute». Im Zug, so Vögtli, sei man auch nie allein unterwegs. Es gebe auch andere Abteile, in denen andere Gläubige, Angehörige anderer Religionen und Nichtgläubige sässen. Vögtli plädiert dafür, «dass wir barmherzig miteinander sind, so wie Gott barmherzig ist mit uns».
Franziska Grädel, die Präsidentin der Pfarrwahlkommission, und Beatrice Moretto, die Administratorin der Kirchgemeinde, begrüssen Tania Guillaume und ihren Ehemann Philippe herzlich an ihrer neuen Wirkungsstätte – und auch in ihrem neuen Daheim im altehrwürdigen Mühleberger Pfarrhaus. Für den Pfarrhausgarten haben Grädel und Moretto eine namentlich passende neue Bewohnerin mitgebracht: eine «Doppelte Philippsbirne», eine alte Birnensorte aus Belgien, die zweimal im Jahr Früchte trägt. Beatrice Moretto wünscht auch der neuen Pfarrerin doppelte Ernte – «sowohl in der Tiefe von deinem Glauben, als auch in der Fruchtbarkeit von deiner Arbeit mit und für uns».
Anschliessend an die Amtseinsetzung trifft sich die Kirchgemeinde zu Speis und Trank und Austausch im frisch renovierten Kirchgemeindezentrum. Dort hat der Frauenverein Mühleberg ein reichhaltiges Buffet für einen Apéro super riche vorbereitet.


