«Eigen.Sinn.»

«Eigen.Sinn.»

Zum achten Mal fand im Mai im Stufenbau in Ittigen eine Fachtagung für betreutes Wohnen und Pflege der Senevita AG statt. Das diesjährige Thema lautet: «Individualität und Selbstbestimmung im Alter».

TV-Legende Kurt Aeschbacher leitet im Event-Lokal humorvoll von einer Referentin zum nächsten Referenten über. Ein steiler Lift, einer steilen Bahn ähnlich, führt all die Pflegenden von alten Menschen, all die Bauenden für alte Menschen, all die Philosophierenden und Sprechenden über die Bedürfnisse von älteren Menschen und wenige ältere Menschen selbst in einen grossen Saal.
Mia Engi (73) aber kümmert das Altwerden wenig. Sie berichtet von ihrer legendären Skiakrobatik-Karriere in den USA, von ihren Erfahrungen als Gleitschirmlehrerin in Japan oder vom Segeln auf Madagaskar. Sie hat ihr ganzes Leben in einem unerschütterlichen Optimismus Abenteuer und Herausforderungen gesucht. «Es gibt nicht negativ oder positiv im Leben, es gibt nur Spannendes.» Und jetzt pflanzt Mia Engi Lebensmittelhanf an. Auf Aeschbachers Frage, ob man diesen Hanf rauchen könne, antwortet sie fröhlich: «Da kannst du Salat rauchen.» Sie spricht über all die neuen Facetten, die sich einem nur im Alter auftun, über ihre Zufriedenheit und Faszination für das Älterwerden.
Martina Schmidhuber, Professorin für Health Care Ethics an der Universität Graz, spricht über «Autonomie, muss das (noch) sein?». Über die globale Autonomie, die es in umfassendem Sinne gar nicht gibt, da wir in jeder Lebensphase von vielen Einflüssen umgeben sind. Kinder sind abhängiger und somit weniger autonom, und ältere Menschen werden auch wieder vermehrt eingeschränkt. Autonomie sei aber keine «Alles-oder-nichts-Fähigkeit». Schmidhuber unterscheidet zwischen globaler, gradueller und lokaler Autonomie. Die graduelle Autonomie kann durch Bildung und Erziehung durchaus gefördert werden, sie ist aber abhängig von unserem momentanen Leben. In der lokalen Autonomie hätten wir es gut, sagt Schmidhuber. Da sind z. B. die freie Berufswahl, die reproduktive Freiheit, in der wir Familie, Kinder, Heirat frei wählen können, oder die freie Wohnungswahl zu nennen. Entscheidungs- und Handlungsautonomie könnten nicht immer in gewünschtem Masse wahrgenommen werden. Unser Menschsein beinhalte immer eine gewisse Abhängigkeit von anderen.
Professor Jonathan Bennett, Leiter des Instituts «Alter» der Berner Fachhochschule, spricht über «Weiter im Takt – im eigenen Rhythmus». Nicht nur bei Musikern, sondern auch bei uns sei ein gewisser Takt im Leben vorgegeben. Aber beim Rhythmus hätten wir Möglichkeiten, die Dynamik, Akzente und Tempo selbst zu bestimmen. Der Takt bleibe mehr oder weniger gleich bis ans Lebensende, aber der Rhythmus vergrössere sich im Alter. So könnten wir eigene Akzente setzen. Arthur Rubinstein, der berühmte Pianist, hat im Alter sein Repertoire verkleinert und vor schnellen Passagen zuerst sehr langsam begonnen zu spielen, dann musste er nicht allzu schnell enden.
Für Paul und Margret Baltes, beide Psychologen, macht eine gute Lebensqualität im Alter aus, dass man eine optimierte Selektion auf Prioritäten vornehmen kann. Bennett sagt, nicht die Menge von Beziehungen im Alter sei wichtig, sondern wenige mit emotionalem Gehalt. Bewusste Entscheidungen und die Möglichkeit, auswählen können, seien Privilegien im Alter. Dennoch sei Altwerden nicht nur eine Privatsache, vielmehr sei es auch abhängig von unserem Wohnraum, vom Gesundheitssystem, dem Rentensystem und der Wertschätzung von Pflegenden und Angehörigen. Zentral sei, dass es auch ältere Menschen zur Mitgestaltung der Zukunft in Politik und Wirtschaft brauche.
Christiane Varga, Zukunfts- und Trendforscherin aus Wien, beleuchtet den Umbruch in der Politik, in der Wirtschaft, im Zusammenleben. Viele Menschen würden merken, dass schneller, besser, grösser und mehr nicht nur gesund sei. Menschen werden älter und bleiben länger jung, was neue Strukturen in der Gesellschaft verlangt. Wir müssten die digitale Evolution und die Gestaltung von Gebäuden, Gärten und Umgebung, Achtsamkeit und individuelle Ansprache an die Menschen nutzen, um den sozialen Prozess zu fördern, sagt sie. Wir bräuchten neue Bilder, neue Möglichkeiten, um das Alter neu zu gestalten. Das lange Leben von älteren Menschen sei sehr individuell. Deshalb müssten auch Betreuungsplätze individuell gestaltet werden. Heute müssten wir den Individualisten neue Gemeinschaften im Alter ermöglichen. Nächstenliebe und Zueinander-Schauen könnten mit gemeinsamen Wohnräumen und Aufgaben von verschiedenen Generationen sowie mit Vernetzung von Branchen gefördert werden.
«Eigen. Sinn.» Im wahrsten Sinne des Wortes. Den Referenten gelingt es, die Individualität und Selbstbestimmung im Alter nicht nur zu thematisieren, sondern mit zahlreichen Lösungsansätzen zu versehen.

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