Ein anständiger Randständiger

Ein anständiger Randständiger

Der Konsum von Drogen lässt sich bis in die Steinzeit nachweisen. Sei dies im kultischen oder schamanischen Kontext, als Medizin oder zum Genuss. Rauschmittel prägen also seit jeher die Menschheitsgeschichte. Trotzdem werden Menschen, die davon abhängig sind, zu Aussenseitern. Die Stiftung «Sinnovativ» unterstützt Betroffene auf ihrem Weg und ermöglicht neue Perspektiven.

Einer von ihnen ist Beat Lüthi. Bis vor zwei Jahren lebte er in der betreuten Wohngemeinschaft in der «Wege Weierbühl» in Köniz. Heute wohnt der 55-Jährige im 5. Stock in einer kleinen Einzimmerwohnung mit Balkon in Liebefeld. Die Wohnung hat ihm die Stiftung Sinnovativ vermittelt. Lüthi blickt dankbar aus dem Fenster und sagt: «Ich fühle mich hier sehr wohl. Vor allem wegen dem Balkon.» Während sein Blick über die Dächer streift, lässt das rege Treiben auf der Schwarzenburgstrasse vermuten, dass dort das Leben stattfindet. Ein Leben, an dem Lüthi gerne wieder teilnehmen möchte. «Ich wünsche mir neue Freundschaften ausserhalb der Drogenszene. Dies, so fügt er an, sei eine grosse Herausforderung: «Ich bin halt schüchtern», lächelt er etwas verlegen.

Anderen Mut machen

Trotzdem hat sich Beat Lüthi entschieden, mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. «Vielleicht kann ich so anderen Betroffenen zeigen, dass sie nicht allein sind», sagt er gutmütig. Der gelernte Gärtner lebte früher in der Gemeinde Huttwil. Als Ehemann und Vater von zwei Kindern war er ein Teil der Gemeinschaft, interessierte sich für Unihockey und war als Trainer tätig. Bei einer regionalen Firma war er als loyaler Mitarbeiter bekannt. Was während fast 10 Jahren verborgen blieb: Lüthi führte ein Doppelleben. Schleichend wurde er drogenabhängig. Heimlich konsumierte er Kokain, Heroin und Alkohol. «Die Probleme begannen schon früh, mit 17 machte ich erste Drogenerfahrungen. Mit den Jahren wurde es immer mehr», erzählt er. Als Lüthis Suchterkrankung publik wurde, seien viele sehr erstaunt gewesen.

«Das ist genau der Punkt», sagt Sabine Zaugg. Die ehemalige Kommunikationsverantwortliche der Stiftung Sinnovativ weiss aus langjähriger Erfahrung: «Eine Suchterkrankung kann jedem passieren – unabhängig von der Biografie.» Die zwölf Jahre, in denen Zaugg für die Stiftung tätig war, hat ihr Menschenbild massgeblich geprägt: «Aus meiner Sicht ist es zentral, dass wir uns in der Gesellschaft auf gleicher Augenhöhe begegnen und Bedürfnisse ernst nehmen. Jedes Individuum hat ein Recht auf Autonomie. Zaugg ist überzeugt: «Solange es Menschen auf der Welt gibt, wird es auch immer Drogen geben. Deshalb ist es so wichtig, dass es Institutionen gibt, die Menschen, die durch alle Raster fallen, auffangen und Hilfe bieten».

Am Rand der Gesellschaft

Nachdem das Doppelleben von Lüthi aufflog, machte er in einer Klinik eine Entzugstherapie. «Mein Umfeld war mir wohlgesonnen, sogar mein Arbeitgeber gab mir nochmals eine Chance.» Nach einigen Rückfällen folgte die Trennung von seiner Frau. Er verlor seine Arbeit und zog von zu Hause aus. Einen Sommer lang lebte er in Olten auf der Strasse. Danach verweilte Lüthi in verschiedenen Institutionen, wohnte zeitweise wieder in einer Wohnung. Doch immer wieder gelangte er in die Abwärtsspirale. 2018 zog der damals 49-Jährige in die betreute Wohngemeinschaft in der «Wege Weierbühl», wo er für drei Jahre blieb. Die enge Begleitung durch Fachpersonen und der gut strukturierte Alltag verhalfen Lüthi zu mehr Stabilität. Die persönlichen Kontakte unter den WG-Mitgliedern gaben ihm das Gefühl, wieder in einer Gemeinschaft zu leben.

Schritt für Schritt

Seit einem Jahr ist Lüthi alkoholabstinent. Mit der Substitutionstherapie will er langfristig ganz von den Drogen wegkommen. In einem Integrations-Arbeitsprogramm bringt er zu einem kleinen Pensum sein handwerkliches Geschick ein. «Die Arbeit gibt mir Struktur und Stabilität. Es gibt aber auch Tage, an denen ich mich nicht überwinden kann, hinzugehen. Es gibt eben gute und schlechte Phasen», sagt der vom Leben geprägte Mann. Regelmässig besucht er die «Wege Weierbühl». Sei dies, um gemeinsam zu essen oder einfach um zu plaudern. Die schönen Frühlingstage machen ihm Mut für die kommende Zeit: «Vielleicht lerne ich ja im Sommer im Liebefeldpark neue Leute aus der Region kennen», hofft er und verrät: «Nebst dem Dartspielen finde ich auch grossen Gefallen am Wikingerschach.»

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