«En garde» – Spiel der Gegensätze

«En garde» – Spiel der Gegensätze

Aus Mantel- und Degenfilmen ist der Ausruf «En garde!» – Vorsicht, in Kampfposition – hinlänglich bekannt. Dass es auch subtiler geht, zeigt die Berner Künstlerin Florine Leoni mit ihrem gleichnamigen Projekt.

Samstagmorgen, Helvetiaplatz in Bern. Die Kunsthalle hat soeben ihre Tore geöffnet, in den Ausstellungsräumen herrscht Ruhe, die Besucher werden erst später von Raum zu Raum schlendern. Bereits in der Eingangshalle gibt es vieles, das zum Verharren und Betrachten einlädt. Bilder, Skizzen, übergrosse Kartonabbilder von Ausstellungsbesuchern. Wer sich Zeit nimmt, die Kunsthalle zu durchstreifen und seiner Neugier folgt, stösst im Untergeschoss auf einen leeren Raum. Wer diesen Raum betritt, betritt das Reich der Berner Künstlerin Florine Leoni. Fast leer, keine Bilder an der Wand, keine Figuren, nur in der Mitte eine Bank aus geflochtenem Metall. Weiss, fast filigran, so als wolle sie diese Leere ja nicht stören. Dennoch ist die Botschaft klar: «Setz dich, nimm dir Zeit!». Die Erwartung liegt in der Luft, doch erst bleibt das Nichts. Dann wird die Stille durchbrochen, eine männliche Stimme spricht. Das anfänglich gleichmässige Zählen, das laut der Stimme zur Entspannung führt, verändert sich, nimmt mehr und mehr Rhythmus an und entführt den neugierigen Betrachter mit Begriffen wie «Marchez!» und «Arme strecken» in eine Fechthalle.

«En garde» ist nicht auf einen Blick verständlich, erschliesst sich nicht durch das blosse Betrachten. Vielmehr ist es eine Wechselwirkung zwischen allen Komponenten – Bild, Ton, Zeit, Raum und Zuschauer. Florine Leoni stellt ihre Zuschauer vor eine Herausforderung. Wer sich die Zeit nimmt, die Installation ganz zu betrachten, mag sich zuerst wundern. Fechten und Hypnose? Denn genau mit diesen Gegensätzen arbeitet Leoni in «En garde». Fechten als Sport, in welchem die klare Abgrenzung zählt, den Gegner touchieren und sich gleichzeitig selbst nicht berühren lassen. Der Fokus liegt auf dem Körper, auf exakten Schritten und der Grenze zwischen zwei Menschen. Durch den Degen wird der eigene Raum vergrössert. Die Übertragung der Berührung auf einen Gegenstand habe fasziniert, erklärt Leoni. Hypnose als Gegenpol. Der Blick wird auf den Geist gerichtet, auf das Unterbewusstsein, wo sich keine klaren Konturen finden. Dabei schafft es die Künstlerin, Bilder aus der Fechthalle durch geschickte Kameraeinstellungen mit Erzählungen aus dem Hypnosezustand so zu kombinieren, dass die beiden Bereiche auf einmal doch nicht mehr ganz fremd wirken.

Wie sie auf die Idee zur Kombination von Fechten und Hypnose gekommen ist? Durch Zufall habe sie 2007 Vincent Laplaze kennengelernt, der Fechttrainer und Hypnotiseur in persona ist und im Film auch in beiden Funktionen zu sehen ist. «Die Gegenüberstellung zweier so markanter Praktiken hat mich gereizt», erinnert sie sich an den Anfang des Projekts.

Die Thematik, die Florine Leoni in «En garde» aufgreift, ist in ihren Arbeiten nicht neu. Menschliche Verhaltensformen, Grenzen zwischen Individuen und Gegensätzen wie Innen und Aussen, Nähe und Distanz sind immer wieder Teil der Werke Leonis. «Die Kunst bietet mir die Möglichkeit, Themen, Räume und Zwischenräume, mentale und emotionale Zustände und Verhaltensformen zu untersuchen», erklärt die Bernerin denn auch. Dass sie dabei auf die filmische Installationen und nicht auf Malerei oder bildende Kunst zurückgreift, ist verständlich: «Film ist das Medium, mit welchem ich den Menschen am nächsten kommen kann.» Auch wenn das Innere einer Person nie mit der Kamera eingefangen werden kann, sei es faszinierend zu sehen, wie sich die inneren Zustände nach aussen hin zeigen. Leoni gibt mit ihren Bildern in keiner Weise vor, welche Empfindungen das Publikum haben oder welche Schlüsse es ziehen soll. Wie der Film ausgelegt wird, welche Wichtigkeit ihm beigemessen oder welche Konsequenzen daraus gezogen werden, ist jedem selber überlassen. Der Film endet, es ist still im Raum. Wer auf der Gitterbank gesessen hat, wird wieder freigegeben, aus dem Werk entlassen. Vielleicht schubst einen die Neugier in den nächsten Raum, vielleicht ist es Zeit, vor der Kunsthalle in die Sonne zu blinzeln und aufs Tram zu warten. So oder so: «En garde» wird nachhallen.

Christa Pfanner

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