Furcht um Nachwuchs

Furcht um Nachwuchs

Ihre Anstellungen konnten sie nur unverheirat ausüben: Vertragsbedingungen für Lehrerinnen im 20. Jahrhundert.

Im Internet verbreitet ist eine Liste mit Regeln für Lehrerinnen aus dem Jahr 1915, die sich auch im Schulmuseum Bern befindet: «1. Während der Dauer ihrer Anstellung dürfen sie sich nicht verheiraten. […] 3. Von abends 8 Uhr bis morgens 6 Uhr halten sie sich zu Hause auf, ausser wenn sie an einem Anlass der Schule teilnehmen. […] 6. Sie dürfen keine Kleider in hellen Farben tragen. […]», steht da zum Beispiel geschrieben. Die Authentizität der Quelle ist umstritten. Bekannt ist jedoch, dass Lehrerinnen bis in die zweite Hälfte des 20. Jh. ihre Arbeit aufgeben mussten, wenn sie heirateten. Grund für das sogenannte Lehrerinnenzölibat war die Vorstellung, dass eine verheiratete Lehrerin sich nicht genügend dem Beruf und der Familie widmen könne. Eine grosse Rolle spielten jedoch vor allem auch arbeitsmarktpolitische Aspekte – insbesondere nach den Weltkriegen, als man genügend freie Stellen für heimkehrende Soldaten brauchte. Die Wurzeln des Lehrerinnenzölibats reichen bis ins 19. Jh. zurück.  Aufgrund des damaligen Ausbaus des Bildungssystems wurden vermehrt auch Frauen als Lehrkräfte ausgebildet. Diese durften allerdings nur an Kleinkinder-, Mädchen- sowie Arbeitsschulen unterrichten. Mit dem Konzept der «geistigen Mütterlichkeit» (1868) wurde der Weg zum Lehrerinnenzölibat vorbereitet. Nach dieser Idee verfügt eine Frau über mütterliche Kompetenzen, die sie als Mutter, aber auch als Lehrerin einsetzen kann. Letzeres jedoch nur, sofern «keine eigenen Familienbande sie fesseln oder ihre Zeit genügend ausfüllen können». Ende 19. und Anfang 20. Jh. wurden diese Normvorstellungen schliesslich in gesetzlichen Zölibatsklauseln verankert. Aufgehoben wurde das Lehrerinnenzölibat in der Schweiz erst im Lauf der 1960er-/1970er- Jahre, als wiederum Lehrkräftemangel herrschte. Auch wenn das Lehrerinnenzölibat  heute abgeschafft ist, sind traditionelle Vorstellungen wie ein weiblicher Lebenslauf auszusehen hat immer noch präsent: Lehrerinnen reduzieren meistens ihr Pensum zugunsten von Familienarbeit. Ausserdem sinkt der Anteil der weiblichen Lehrpersonen mit jeder höheren Bildungsstufe: An der Primarschule betrug 2020 der Lehrerinnenanteil 83%, an den Fachhochschulen gab es 34% Dozentinnen und an den Universitäten gar nur 24% Professorinnen.

Nicole Stephan,

Schulmuseum Bern in Köniz

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