«Ich werde ständig mit Hindernissen konfrontiert, da ich einen Tunnelblick in der Grösse eines Stecknadelkopfes habe», erzählt Stefan Massa. So sei er bereits über alles Mögliche gestolpert, vom Rollstuhl bis hin zum neuen Miettrottinett, das achtlos auf dem Gehweg stehen gelassen wurde. In der Bahn sucht er den Knopf zum Türe öffnen, der je nach Alter des Zugs an anderen Orten angebracht ist. Im Lift machen dem Könizer die gleichfarbigen und kontrastlosen Knöpfe zu schaffen. Und auf dem Bürotisch scheint sich der Kugelschreiber immer wieder in Luft aufzulösen. Wie schwierig es im Alltag sein kann, um von A nach B zu gelangen, ist den meisten Menschen, die keine körperliche Einschränkung haben, überhaupt nicht bewusst. Eine Tatsache, die die drei Inhaber von «rundum» ändern wollen.
Barrierefrei im Liebefeld
Einzeln sind sie in ihren Metiers bereits seit Jahren dabei, das Leben von Menschen mit diversem Unterstützungsbedarf zu erleichtern. Stefan Massa und Matthias Rothe im Bereich der Orthopädietechnik, Mike Hirsiger im Verkauf und bei der Reparatur von Rollstühlen aller Art. Seit September 2020 gehen die Drei geschäftlich gemeinsame Wege – schliesslich passt der Spirit der beiden Unternehmer perfekt zusammen. «Mein Herzenswunsch ist es, alles unter einem Dach anbieten zu können», fasst Hirsiger den gemeinsamen Plan zusammen. Alles? Alles. Denn «geht nicht» gibt es für ihn und seine Partner nicht. In den Räumlichkeiten im Liebefeld sollen dereinst komplett barriere- und stressfreies Einkaufen, Beraten und Arbeiten möglich sein. Der Anfang ist gemacht: Von der Tiefgarage bis hin zu den Büro- und Pausenräumen ist alles komplett rollstuhlgängig, der Lift hat für Menschen mit Seheinschränkungen farbige, grosse und kontrastreiche Knöpfe, im Laden finden sich alle möglichen Hilfsmittel, wie Rollstühle, Prothesen u.v.m. Wer behauptet, Klettern oder weltweites Reisen sei unmöglich mit Seheinschränkung oder für Rollstuhlfahrerinnen wird hier ebenfalls eines Besseren belehrt.
Inspirierend für andere
Barrierefreiheit und einfache Sprache finden erst langsam ihren Platz in der Gesellschaft. Wer nicht direkt betroffen ist, ist sich meist wenig bewusst, wie stark sich ein Leben im Alltag verändert, sobald ein Rollstuhl notwendig wird oder wenn das Augenlicht schwindet. Massa erlebt die Umstellung hautnah. Er spielte vor seiner Augenerkrankung Handball auf Spitzenlevel, sieben Jahre als Nationalspieler, elf in der obersten Liga. Die Diagnose Retinitis pigmentosa, die genetisch bedingt ist und bis zur Blindheit führen kann, erschwert das sportliche Auspowern. Aber sie verhindert es nicht ganz. «Ich betreibe Sport, jenen, der noch machbar ist. Das hört sich nun speziell an, aber ich gehe ins Boxtraining, fahre Rennvelo und Ski – immer in Begleitung. Ich werde im Sommer mit einem speziell ausgebildeten Bergführer den Mönch besteigen und diesen Winter zum ersten Mal in den Bergen, in der freien Natur, übernachten», erzählt er. Alles eine Frage der Organisation. Auch sonst lässt er sich kaum ausbremsen und sieht in seinem Handicap Stärken. «Ich habe ein ganz grosses Vertrauen in den Menschen, der mich führt», nennt er etwa eine der Bereicherungen, «in meiner Rolle als Inhaber von ‹rundum› nehme ich eine Vorbildfunktion ein und mit meiner Einschränkung wirkt das enorm inspirierend auf andere Menschen. Das kann ich in persönlichen Gesprächen gut und bewusst einbauen.»
Viele Ideen
Bis zur angestrebten Inklusion von Menschen mit allerlei Eigenheiten ist es noch ein weiter Weg. Dessen ist sich Mike Hirsiger bewusst. Umso unermüdlicher setzt er sich für Sensibilisierung und konkrete Verbesserungen ein. Gerade was die Mobilität von Rollstühlen angeht, hat er seit seiner Kindheit – da sein Vater auf einen angewiesen ist – einen scharfen Blick. Zwar gibt es bauliche Standards rund um Rollstuhlgängigkeit, diese seien aber oft nicht ganz zu Ende gedacht. Hirsiger ist so pragmatisch wie visionär, den Architekten für die Büroräumlichkeiten setzte er kurzum in den Rollstuhl, um etwa den Lift auf Tauglichkeit zu prüfen. Auch berät er mittlerweile mehrere Festivals in punkto Rollstuhlgängigkeit, nachdem er zusammen mit einem Kunden am Gurtenfestival festgestellt hat, dass das einzige Rollstuhl-WC schlicht unzugänglich war. Eine rollstuhlgängige Bar soll folgen, an Ideen und Energie mangelt es nicht. «Ich wünsche mir, dass das Thema Inklusion schon in der Schule verankert wird», so Hirsiger. So dass Menschen mit Einschränkungen unkompliziert am Leben teilhaben und mitgestalten können.
Bei «rundum» ist bereits ein grosser Schritt in die richtige Richtung getan. Das Team lebt Inklusion, die Leidenschaft für individuelle Lösungen und Möglichkeiten ist in jeder Ecke spürbar. Draussen im Alltagsleben fehlt das Bewusstsein noch, aber es wächst. Was wäre für Stefan Massa etwa eine einfache, aber effektive Hilfe im Alltag? «Es braucht mehr Menschen, die einen ansprechen, wenn man Hilfe braucht», ist für ihn klar. Es braucht also ein bisschen mehr Mut dazu, Gutes zu tun.