Wer am ersten Februar-Wochenende auf der Inntalautobahn in Richtung Schweiz fuhr, dem kam eine Armada aus Helvetien entgegen, Autos mit TG-, SG-, AI-, AR-, ZG-, SH-, ZH- oder AG-Kennzeichen. Was ich bis zu jenem Zeitpunkt nicht wirklich realisiert hatte: Vor allem die Ostschweizer sind für Ferien seit jeher schneller im Tirol als im Berner Oberland, dem Wallis oder im Engadin.
Die letzten zehn Januar-Tage verbrachte ich im Sporthotel Mittagskogel in Mandarven/Tirol. Jener Ort wiederum liegt am Ende des Pitztals, mit Skigebieten bis 3440 m ü.M. Zugegeben, ich hatte auch Glück: Bis auf zwei Tage wolkenlos, tolle Pisten, wenig bis gar keine Leute. Mit Glück hatte es allerdings nichts zu tun, dass zum Beispiel das Zusammenspiel zwischen Shuttle-Bussen und Bergbahnankünften optimal funktionierte. Stieg man im Tal aus der Gletscherbahn, die alle 20 Minuten pendelte, warteten bereits die Busse für die Fahrt in die Hotels. Auch der Service und das Essen im Hotel Mittagskogel war fantastisch. Ein Beispiel: Ich hatte zehn Übernachtungen und einen Skipass für neun Tage gebucht. Am Tag meiner Ankunft fragte ich, wo man den Skipass beziehen könne. Antwort an der Rezeption: «Bei mir, aber unter uns: Für morgen ist nicht unbedingt Skiwetter angesagt, erst ab übermorgen für den Rest Ihres Aufenthalts. Ich schlage vor, dass Sie deshalb bloss einen 8-Tage-Pass ab übermorgen nehmen und ich Ihnen somit einen Tag gutschreiben kann.» Hoppla. Dass es zum Schluss noch zwei Prozent Skonto bei Barzahlung der Rechnung gab, sei bloss am Rande erwähnt.
Jetzt einige Beispiele aus der Schweiz. In einem Restaurant im Lesegebiet dieser Zeitung ist man sich nicht zu schade, an einem Gala-Anlass mit entsprechenden Preisen für den Liter Mineralwasser zehn Franken zu verlangen («nein, Hahnenwasser servieren wir heute nicht»). Im gleichen Dorf: Ich buche per Internet einen Tisch für zwei Personen, umgehend wird dieser bestätigt. Als wir dort eintreffen, informiert ein Schild, dass «Heute Ruhetag» ist. Am Nachmittag kommt dann eine automatische Mail und die Schwanzfeder des ganzen Flops. Sinngemäss «Sie waren heute bei uns. Waren Sie zufrieden? Teilen Sie uns bitte Ihre Eindrücke mit!» Das tue ich, erhalte aber nie eine Antwort. Erstaunt, dass die Beiz heute ganz geschlossen ist? Wirklich?
Engadin, Januar 2016, es liegt nicht sehr viel Schnee. Dennoch kostet die Tageskarte 75 Franken. Einwand des Gastes: «Es sind ja nicht alle Skilifte in Betrieb, weshalb also der volle Betrag?» – «Das ist höhere Gewalt, dafür können wir nichts.» Und da wundert sich Jürg Schmid von Schweiz Tourismus, dass immer weniger Leute in die Schweiz zum Skifahren kommen? Wirklich?
Im Goms. Eine Bekannte möchte in einem Geschäft einen Geschenkgutschein kaufen, als Geburtstagsgeschenk. Reaktion der Mitarbeiterin: «Der Chef ist im Fitness, kommen Sie morgen wieder.» Im gleichen Ort löst die Frau in einem anderen Geschäft beim Bezahlen an der Kasse einen Gutschein ein. Voller Missfallen – «Ouw, e Guetschyn, muess das sy?» – wird die lokale Gastfreundschaft ausgespielt. Erstaunt, dass jenes Dorf bestimmte Gäste nicht mehr sehen wird? Wirklich?
Klar. Es gibt sie noch, die positiven Beispiele in der Schweiz. Ich frage mich bloss: Weshalb werden sie mehr und mehr zur Ausnahme? Weshalb kommt es derart selten vor, dass man nach einer Dienstleistung wirklich restlos begeistert ist? Haben wir uns damit abgefunden, dass Mittelmass das Mass aller Dinge hierzulande geworden ist («ja doch, es isch rächt gsi»)? Wirklich?
Nur: Es wäre zu einfach, der Mitarbeiterin bei den Engadiner Skibetrieben die Schuld in die Schuhe zu schieben. Oder der Verkäuferin im Gomser Geschäft. Dem falsch programmierten Computer im besagten Restaurant. Der Fisch stinkt vom Kopf her. Früher oder später werden das auch die Chinesen, die Koreaner, die Inder, die Japaner oder die Russen und die Amerikaner merken. Ich bin schon heute gespannt, wer und was dannzumal Schuld an der Misere haben wird. Vermutlich die höheren Umstände. Und auf die kann man bekanntlich keinen Einfluss nehmen.