Hinschauen und aus der Geschichte lernen

Hinschauen und aus der Geschichte lernen

– In ihren bisherigen drei Büchern gewährt die Könizer Autorin Einblicke in die Lebenswelt früherer Generationen. Die Bandbreite reicht von heiteren Anekdoten über einschneidende Ereignisse bis zu düsteren Kapiteln der Geschichte. Immer mit der Erkenntnis, dass Geschichte da ist, um daraus zu lernen.

Nichts gibt besser Auskunft über die Gegenwart als die Vergangenheit, nichts beleuchtet das Heute besser als das Gestern. «Man muss sich der Vergangenheit stellen», ist die Antwort von Verena Blum-Bruni auf die Frage nach dem Kern ihres Wirkens, «es muss gesagt sein was war, damit wir nicht wieder in die gleichen Fallen gelangen.» Das zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Bücher. Das Erstlingswerk aus dem Jahr 2013 trägt den Titel «Das gestrandete Schiff», es ist die erschütternde Geschichte über den Verdingbuben Peter, der an den Peinigungen seiner Pflegeeltern verstarb. Die tragische Geschichte beruht auf Tatsachen, was der Arbeitsweise der Historikerin und ehemaligen Sekundarlehrerin im Berner Oberland entspricht. Ihre sorgfältigen Nachforschungen prägen alle ihre bisherigen Werke. Die Arbeit am Staatsarchiv Bern bis zur Pensionierung hat die Lust von Verena Blum-Bruni an der Recherche zusätzlich vertieft. So entstand auch das Buch über das Verdingwesen, das als Mahnmal für die Menschlichkeit schweizweit ein grosses Echo auslöste. «Ich versuchte, das Dorf im Oberland historisch einzubetten, zu ergründen, was alles passierte. Mich faszinieren Entwicklungen und die Fragen, weshalb Dinge so oder so geschehen.» Sie stellte fest, dass die Region zur damaligen Zeit stark von Armut geprägt war. Das habe zum Verdingwesen beigetragen, räumt die Autorin ein und leitet daraus ein gewisses Verständnis ab.

Verständnis und Verantwortung

Obwohl es kurz darauf zu einem Prozess gegen die Pflegeeltern kam, stellt sie fest: «Alles ist schiefgelaufen. Die Gemeindeinstanzen haben versagt, der Pfarrer und die Armenbehörden.
Mit der Aufarbeitung des qualvollen Ereignisses leistete sie einen Beitrag zur Thematisierung des Verdingwesens. Blum-Bruni hebt als Mensch und Schriftstellerin den Mahnfinger, ohne jedoch mit dem Zeigefinger auf andere zu zeigen. Die Rückblicke auf das Leben vorheriger Generationen bringen sie zur Überzeugung, dass früher nicht alles besser war: «Ich mag diesen Spruch gar nicht. Es ist für mich wie ein Stachel, wenn Geschichtsschreibung beschönigt wird. Man darf Dinge auf den Tisch legen, ohne neu anzuklagen.» Diese Haltung widerspiegelt sich auch in den anderen Büchern der Autorin. Sie möchte das Verständnis für die Handlungsweise der Menschen fördern. Damit schlägt sie eine Brücke in unsere Zeit, denn die Kernfrage bleibt für die Historikerin generationenübergreifend dieselbe: «Was hätten die Menschen aus ihrer damaligen Situation heraus anders machen können, was können wir anders machen?» Es dürfe nicht darum gehen zu richten, vielmehr darum, das System und den jeweiligen Zeitgeist in solche Fragen einzubeziehen. Zentral ist für sie die Frage, was Menschen dazu bringt, Teil eines Systems zu werden, das auch Schlimmes ermöglicht. Das sind ungelöste Fragen, auch für eine, die das Hauptgewicht der Verantwortung bei der Gesellschaft sieht. Also bei uns und unseren Institutionen.

Der Umgang mit Veränderungen

Auf Spurensuche begibt sich Verena Blum-Bruni auch in ihren beiden anderen Büchern. Im Vergleich zum Erstling handelt es sich dabei um leicht verdauliche Kost. «Ja», bestätigt sie, «da steckt weniger Problematik drin. Trotzdem entsprechen sie meinem Anliegen, die Menschen in ihrer Zeit zu sehen.» Im Band «Huufyse mit Gomfi» beleuchtet Verena Blum-Bruni auf eine erfrischende Art, wie sich das Leben ihrer Grosseltern mütterlicherseits in der Berner Länggasse abspielte. Sie waren 50 Jahre lang Teil des Quartiers und erlebten, wie sich dieses fundamental veränderte. «Es war ein einfaches, aber lebenswertes Leben. Eines, das nicht von Reichtum abhängig war», stellte die 72-Jährige bei ihren Nachforschungen fest. In der Mundart-Biografie «Chüderle u chutte» sie sich mit dem Leben ihrer Grosseltern väterlicherseits. Es sind Geschichten aus Bern, die eine Brücke zwischen den Generationen von damals und heute, bauen, geschrieben in einer Mischung aus blumigen Anekdoten und akribischer Recherche. Im Mittelpunkt ihrer Werke stehen immer Menschen. Solche, die mit Veränderungen umgehen mussten, in der Verantwortung standen und vieles hätten besser machen können. Menschen wie wir. Ist die Fähigkeit, aus der Geschichte zu lernen, nicht einfach ein guter alter Impuls, verbunden mit trügerischer Hoffnung? «Ich weiss es nicht», antwortet Verena Blum-Bruni, «hinschauen ist natürlich nicht immer lustig. Zur Vergangenheit stehen bedeutet jedoch auch, ein hohes Mass an Glaubwürdigkeit zu haben.»
Martin Jost

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