«Ich muss nicht auf jeder Hochzeit tanzen»

«Ich muss nicht auf jeder Hochzeit tanzen»

Letzten Sommer wurde Gitta Bellmann der «Chäsitzerpreis» verliehen. Damit ehrt die Gemeinde ihr grosses Engagement im kulturellen und sozialen Bereich. Ihr Einsatz fürs Dorfleben erstreckt sich auf viele Themenbereiche und Projekte und man fragt sich, wie dies alles unter einem Hut Platz hat.

Co-Redaktorin der Kehrsatzer Dorfzeitung, Organisatorin der Jass-Abende, Initiatorin des monatlichen Frauen-Vollmond-Treffs, Vorstandsmitglied im Frauenverein, Mitglied im Dorfverein und im 1.-August-Komitee, Mithilfe beim Weihnachtsmarkt, Märchenerzählen und im Sommer Mithilfe auf der Alp: Das sind Gitta Bellmanns Freizeitaktivitäten neben ihrem anspruchsvollen Beruf im mobilen Palliativdienst MPD Spitex Bern. 

Eine Herzensangelegenheit ist ihr das interkulturelle Gartenprojekt. An einem Worldcafe des Frauenvereins kam der Wunsch auf nach Integration auf verschiedenen Ebenen im Dorf auf. «Da ich auf der Suche nach einem neuen Gemüsegarten war, kam mir während der Coronazeit die Idee für einen interkulturellen Garten. Mit Hilfe von Edina Hegedüs waren die Frauen, die mitmachen wollten, schnell gefunden. Und dank der guten Vernetzung erhielten wir eine ca. 200 m² grosse Fläche beim Ökumenischen Zentrum. Neben der gemeinsamen Gartenarbeit bleibt Zeit für Austausch, Veranstaltungen und Feste.» Eine wichtige Stütze ist dabei Edina Hegedüs. Sie kommt aus Transsilvanien, ist engagiert und gut vernetzt im Dorf. Hegedüs’ Kinder ernannten Gitta Bellmann zur Ersatz-Grossmutter, die sich dann u. a. auch als Skilehrerin einbrachte. Die gebürtige Norddeutsche, die seit 2005 in Kehrsatz wohnt, kam 1986 in die Schweiz. Als diplomierte Pflegefachfrau absolvierte sie noch eine Ausbildung als Intensivpflegefachfrau am Kantonsspital Aarau. Während mehr als 20 Jahren arbeitete sie auf Intensivstationen an verschiedenen Schweizer Spitälern, davon 15 Jahre am Beau-Site Spital in Bern. Dort hatte sie eine spezielle Regelung: Im Winter arbeitete sie im Spital, im Sommer auf der Alp. Denn das «z’Alp-Gehen» ist ebenfalls eine Herzensangelegenheit. Anfänglich war sie Zu-Sennerin auf der Alp Langenegg, später dann Sennerin auf der Mägisalp. Sie betreute während 12 Alpsommern das Vieh, molk Kühe und stellte Alpkäse her. Erfolgreich, denn Letzterer wurde mit 99,5 von maximal 100 Punkten von der Fachjury ausgezeichnet. Auf der Alp lernte sie auch ihre beste Freundin kennen. «Ein Tag auf der Alp ist für mich die beste Erholung, darum gehe ich im Sommer immer wieder helfen», betont Bellmann. Nach ihrer Spitalkarriere wechselte sie 2008 zur Spitex. Seit sechseinhalb Jahren ist sie im mobilen Palliativdienst des ganzen Einzugsgebietes von Spital-Netz-Bern tätig.

Bellmann war während fast neun Jahren bei der Kehrsatzer Feuerwehr. «Schon als Kind wollte ich zur Feuerwehr. Dies war damals in Deutschland nicht möglich. Die Kehrsatzer Feuerwehr war für mich der Türöffner zur Dorfbevölkerung, was mir später bei der Realisierung von Projekten und Veranstaltungen vieles erleichterte und ermöglichte.»

Wie kriegt sie all die Verpflichtungen und Engagements unter einen Hut? «Ja, das frage ich mich manchmal auch», sagt Bellmann mit einem herzhaften Lachen. «Ich verfüge über einen sehr guten Zugang zu den Menschen, bin empathisch, gut vernetzt, voller Ideen und liebe das Organisieren. Manchmal gewinnen die Leute den Eindruck, dass ich auf allen Hochzeiten tanze. Dem ist aber nicht so. Ich habe nicht den Anspruch, alles machen zu müssen und überall dabei zu sein. Wenn ich etwas aufgegleist habe und es läuft, kann ich gut loslassen. Wenn man beruflich täglich mit dem Tod konfrontiert ist, gibt es oft Phasen, in denen man sich zurückziehen muss. So mache ich gerne allein Gartenarbeiten, Wanderungen. Letzten Sommer bin ich rund 50 mal die Aare runter geschwommen.» Bellmann erlitt vor 13 Jahren bei einem Velounfall eine schwere Hirnerschütterung, von der sie sich erst anderthalb Jahre später wieder ganz erholt hatte. «Ich bin sehr dankbar, dass ich diesen Sturz dank Helm überlebt habe. In einer solchen Situation lernt man, achtsam mit seinen Kräften und Ressourcen umzugehen.»

Woher nimmt Gitta Bellmann die Motivation für ihre Engagements? «Viele Menschen sind auf dem Weg zum Individualisten, jede und jeder will sich selbst finden. Dadurch aber verlieren wir uns. Letztlich sind wir nur gemeinsam stark. Das ist die Motivation für meine Engagements. Das gilt auch für die Palliativpflege. Meinen Beruf könnte ich ohne ein gut funktionierendes Netz nicht erfüllen.»

«Kehrsatz ist ein offenes Dorf, wo Ideen rasch umgesetzt werden können. Danken möchte ich der Bevölkerung, dass so viele bereit sind für Neues und Freude daran haben, gemeinsam unterwegs zu sein.»

 

INFO:

Der Chäsitzerpreis wird seit 1999 alljährlich von der Gemeinde Kehrsatz vergeben und ist mit 2000 Franken dotiert. Er wird an Personen oder Institutionen verliehen, die einen aktiven Beitrag zum kulturellen Leben der Gemeinde leisten. Der Jugendpreis mit je 300 Franken ging 2023 an Salomée Mpeti Omiazila (Tanzen für Kinder), Matteos Zereit (mehrere Jahre Betreuung der Skateranlage «Sk8 Chäsitz») und Sven Bättig (Maturaarbeit «Einfluss von Terroranschlägen auf die
Wirtschaft»).

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