Klang statt Lärm

Klang statt Lärm

Laut und grell klang das Geläute der 1958 erbauten reformierten Kirche Spiegel. Zunehmend sah sich deswegen die Kirchgemeinde Köniz mit Lärmreklamationen und sogar Petitionen konfrontiert. So kam es zu einer Neuerung des Klöppeltyps.

Messungen zeigten: Das Geläute ergab zu hohe Spitzenwerte. Zudem wurden die Glocken durch die Klöppel zunehmend ausgeschlagen und stark belastet. Eine Verbauung des Glockengeschosses kam nicht in Frage. In enger Zusammenarbeit zwischen Kirchgemeinde, Glockenfirma Muff AG (Triengen LU) sowie dem Glockenexperten und Denkmalpflege-Mitarbeiter Matthias Walter wurde sodann ein völlig neuer Klöppeltyp entwickelt.  

Aus aller Nähe

«Dieses Geläut klingt jetzt richtig schön», so das Credo der Wortmeldungen anlässlich eines Orientierungsabends. Die zahlreich erschienenen Anwohnenden und Kirchgängerinnen und -gänger bekamen die Gelegenheit, die steilen und schmalen Stufen des Glockenturms zu erklimmen und den Glockenschlag aus allernächster Nähe zu hören und zu spüren. Dreingaben: Die Aussicht rundum, die ungewohnte Perspektive. Das Sanierungsergebnis kann sich hören lassen: Die erarbeitete Lösung ist viel kostengünstiger als der Umbau des Läutesystems und verfremdet überdies das Geläute nicht. Zudem wird die Turmarchitektur im ursprünglichen Zustand belassen. Matthias Walter erklärt: «In der Vergangenheit wurden offene oder niedrige Türme wegen ihrer zu lauten Glocken oft stark umgebaut, mit Holz verschalt oder einem Glasmantel versehen. Das war kostenträchtig und hat die Architektur immer wieder bedauerlich entstellt – und klanglich dennoch nicht viel gebracht.»

Ganze «Chöre» von Glocken 

Aus den Kirchtürmen Mitteleuropas schallen seit dem Mittelalter mehrstimmige Geläute. Dabei schwingt jede einzelne Glocke in ihrem Rhythmus hin und her. Beim Uhrschlag hingegen bewegen sich die Glocken nicht, nur ein Hammer schlägt von der Seite her. Seit der Architekturmoderne der 1930er Jahre wurden Kirchtürme häufig offener oder niedriger, zudem meist aus Beton errichtet. Dies verstärkte den Glockenschall erheblich. «Wurden im Spiegel vor der Lärmsanierung 104,7 dBA gemessen, so erschallt das Plenum mit allen fünf Glocken neu mit angenehmen 95,9 dBA. Dämpfen liessen sich namentlich die hohen, grellen Obertöne», so Walter. 

Reduzierte Aufprallgeschwindigkeit 

Der neue Klöppeltyp wurde so konzipiert, dass er beim Hin- und Herschwingen eine wesentlich kleinere Strecke zurücklegen muss, daher stärker in der Glocke «gefangen» ist und so vor dem Aufprall nicht auf dieselbe hohe Geschwindigkeit und Beschleunigung kommt wie ein herkömmlicher Klöppel. Mit weniger Aufprallgeschwindigkeit ist die Energie auf die Glocke geringer. Sie wird weniger stark verformt und klingt entsprechend weniger laut. Formal ging man dabei auf das Prinzip der Scheiben- oder Flachballenklöppel zurück, mit denen einst auch berühmte Glocken wie jene in den Domen von Wien und Prag ausgestattet wurden. Auch in der Schweiz gab es diese Klöppeltypen früher recht häufig, bis sie irgendwann nicht mehr produziert wurden. Mit der Kirche Spiegel, ihrer Kirchgemeinde und der Firma Muff AG konnte man sich einigen, dass eine gegenseitige Finanzierung von Tests in Begleitung des Glockenexperten Walter diesen Klöppeltyp in ganz neuer Form zur Reife bringen konnte. Im August 2022 durfte in der Kirche Spiegel die erste neu ausgestattete Glocke in Betrieb genommen werden. 

Vorreiterrolle südlich von Bern

«Vielleicht ist es Zufall», so Glockenexperte Walter, «aber die Region südlich von Bern hat bei Entwicklungen schon mehrmals eine wichtige Rolle gespielt: Kehrsatz machte einen Anfang, und die Kirchgemeinde Köniz hat zuerst mit Liebefeld und jetzt mit der Kirche Spiegel ebenfalls massgeblich dazu beigetragen, neue Ideen umzusetzen.» Die neuen Scheiben- oder «Anker»-Klöppel seien übrigens kurz nach der ersten Inbetriebnahme im Spiegel für fünf weitere Kirchen in der Schweiz bestellt worden. Jonas Brodbeck, Leiter Fachbereich Infrastruktur der Kirchgemeinde, ergänzt: «Das Beschreiten neuer Wege – im Zusammenspiel mit der Expertise von Dr. Walter und der Erfahrung der Muff Kirchturmtechnik AG – hat sich für unsere Kirchgemeinde gelohnt. Dank den neuen Ankerklöppeln erklingt das Glockengeläut der Stephanuskirche jetzt tatsächlich viel angenehmer und gleichzeitig weniger laut.» 

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