Wogende, wollig flauschige Wolken, stupsende samtige Nasen, neugierige sanfte Augen und aufmerksam gestellte Ohren: Es herrscht Gedränge zur Fütterungszeit. Überall wird gekaut, geknabbert, geschubst, gedrängelt. Bis alle Tiere einen Platz am Trog ergattert haben, dauert es eine Weile. Doch Zeit verliert im Alpakastall an Bedeutung. Während die Minuten vor sich hintröpfeln und man die kuschligen Tiere beim Fressen beobachtet, wird das Herz leichter und allfällige Sorgen verflüchtigen sich wie von selbst. Ein Phänomen, welches auch das Besitzerpaar der Alpakas gut kennt und schätzt. «Du hast die Sorgen vergessen, sobald du den Stall betrittst», beschreibt es etwa Gaby Krattinger und John Kneubühl stellt fest: «Es ist für uns sehr entschleunigend» Abgesehen davon haben die beiden ihr Herz komplett an die liebenswerten Tiere verloren.
Dass mit den ersten paar Alpakas nicht nur drei völlig unterschiedliche Mitbewohner mit Strubbelfrisur, sondern gleich eine derart grosse Leidenschaft in ihr Leben staksen würde, damit hatten die beiden nicht gerechnet. Und bis heute ist aus dem Anfangsbestand eine Herde mit 36 Tieren geworden und die Alpakas aus Niederscherli – Hof und Zucht heissen Alpacas of paradise – weltweit bekannt und preisgekröhnt. 2015 standen Gaby Krattinger und John Kneubühl schlicht vor einem Problem: Wie sollten sie über 5000 m² Wiesenfläche rund um ihr neu gekauftes Haus einigermassen im Griff behalten? Die Tiere, die zu diesem Zweck hier oft eingesetzt werden, waren dem Paar nicht allzu sympathisch: Schafe blöken sehr oft und brauchen doch ziemlich viel Pflege, Ziegen stinken und büxen gerne mal aus, Esel sind zu gross. Da stiessen sie auf Alpakas. Nach einem für Einsteiger obligatorischen, eintägigen Sachkundekurs wurden sie auch bald mit passenden Tieren fündig. Als die Tiere Haare lassen sollten, machte der Schärer das Einsteigerpaar darauf aufmerksam, dass «Leno» Eigenschaften und Merkmale hat, die in der Alpakazucht sehr geschätzt werden. Dank diesem Hinweis hat «Leno» seither zahlreiche Preise eingeheimst. Ab da haben Gaby Krattinger und John Kneubühl Feuer gefangen. Sie stiegen in die Zucht ein.
Seither läuft es rund mit den Alpakas aus Niederscherli. Aus anfänglich drei Tieren wurde eine ganze Herde, es kamen weitere Weideflächen dazu. Krattinger und Kneubühl fühlen sich in der Züchtergemeinschaft seit der ersten Show mit «Leno» sehr wohl, der Umgang sei familiär und sehr freundschaftlich. Man gönne sich gute Tiere und habe vor allem Freude an immer noch schöneren Alpakas. Und einige der schönsten Alpakas weltweit kommen aus Niederscherli. Die gewonnenen Preise und Auszeichnungen haben im Wohnzimmer an der Wand kaum noch Platz. Dabei ist die Alpakazucht kein einfaches Geschäft. «Es braucht unheimlich viel Geduld», weiss Gaby Krattinger. Zum einen ist dies der Natur geschuldet, eine Stute trägt ihr Jungtier fast ein Jahr. Zum anderen zehrt die Bürokratie an den Nerven. Aktuell sind die Grenzen zur EU für die kuschligen Vierbeiner fast unüberwindbar. In Niederscherli wartet man auf bereits gekaufte Tiere, andernorts wartet man auf ein paar der Alpacas of paradise. Der Handel ist zentral für den Genpool, gerade mit Hengsten aus den USA, Australien und Neuseeland holt man Frische in die Herden. Das Ziel dabei? «Das perfekte Alpaka», lacht Gaby Krattinger.
Das perfekte Alpaka hat feinste und dichte Wolle und einen idealen Körperbau. Mit «Tequila» steht in Niederscherli zum Stolz seiner Halter ein nahezu perfektes Tier. «Es bringt dir nichts, ein Tier mit guter Wolle zu haben, wenn der Körperbau nicht stimmt», erklärt Gaby Krattinger. John Kneubühl nickt und ergänzt schmunzelnd: «Wir wollen die Vliesqualität erhöhen, ohne dass der Körperbau leidet. Aber es kann noch so gute Wolle sein, wenn der Charakter nicht stimmt, wird aus dem Hengst ein Wallach.» Die beiden haben sich nicht nur dem Ziel verschrieben, das schönste Alpaka zu züchten, die Tiere sind unterdessen unumstrittener Lebensmittelpunkt. «Das Schöne ist: wenn man mit ihnen spazieren geht, dann lachen überall alle», strahlt Krattinger etwa. «Es ist nicht nur der Jö-Effekt, das Alpaka hat auch grosses Potential. Ich suche wahnsinnig gerne nach neuen Wegen, was man mit der Wolle alles machen kann», begeistert sich Kneubühl.
Wer sich Alpakas anschaffen will, braucht zwar über die Zuchteigenschaften nicht en detail Bescheid zu wissen. Aber es ist viel Halbwissen verbreitet. Gut hinschauen lohnt sich, wie die beiden erfahrenen Züchter wissen. Man müsse sich sehr bewusst sein, wozu man Alpakas will. Ein Start mit drei Wallachen sei empfehlenswert und die Tiere müssten unbedingt handzahm und an Menschen gewöhnt sein. Leider müsse man hier einigen Verkäufern auf die Finger schauen. Man lasse sich sonst rasch vom Jö-Effekt blenden.
Feinste Wolle, liebenswerte Charaktere, vergleichsweise unkomplizierte Haltung, Seelenbalsam – das friedliche Andentier ist auch im Alpenraum auf dem Vormarsch. Und hinterlässt auf seinem Weg strahlende Gesichter und Herzenswärme. Und bei Gaby Krattinger und John Kneubühl sind sie innert kürzester Zeit Familienmitglieder geworden.