Raus aus den Pulten, rein in den Stall

Raus aus den Pulten, rein in den Stall

Seit 30 Jahren erleben Schulklassen auf dem Bauernhof hautnah, woher Nahrungsmittel kommen. 2022 war ein Rekordjahr: 513 Klassen mit 12'283 Kindern durften Hand anlegen beim Füttern und Misten der Tiere oder beim Dreschen und Mahlen des Korns. Zum Beispiel auf der Horbermatt.

41 Landwirtschaftsbetriebe im Kanton Bern nehmen teil am Projekt «Schulen auf dem Bauernhof» (SchuB). So auch der knapp 9 Hektaren grosse Horbermatt-Hof in der Gemeinde Oberbalm. Melanie und Philipp Ramser sind seit bald sieben Jahren Gastgeber von Schulklassen vom Kindergarten bis zur Oberstufe. «Wir haben Kinder sehr gerne», erklärt die Bäuerin. «Es ist uns ein Anliegen, dass jedes Kind einmal eine Kuh oder ein Kälbchen anfassen darf. In der Schule kann man sonst genug lernen. Bei uns sollen sie spüren und erleben dürfen.» Für den Kleinbetrieb ist SchuB ein Zusatzerwerb. «Wirklich lukrativ ist es aber nicht», sagt Melanie Ramser. «Wir verdienen als Familie 80 Franken für eine Lektion, die Vor- und Nachbearbeitung ist nicht bezahlt.»

Zudem müssen Anbieter vorgängig einen mehrtägigen Kurs zu «Bildungsangeboten auf dem Bauernhof» absolvieren. Schliesslich tragen sie gegenüber ihren kleinen Besuchern eine grosse Verantwortung. Das sieht man exemplarisch, wenn Philipp Ramser eine Gruppe in die Pferdekoppel schleust und ihnen klare Anweisungen gibt, wie sie sich verhalten müssen. «Wir wissen, was unsere Tiere können und was nicht», betont Melanie Ramser. «Wir besprechen deshalb das Programm vorab mit den Lehrkräften.» Ramsers bieten den Klassen Spezialthemen wie den Weg zur Biodiversität, den Weg des Fleisches, Gemüses, Getreides und der Früchte. Die Kinder dürfen selber Getreide dreschen, von Hand Mehl mahlen und damit im Ofenhaus eigenes Brot backen oder Äpfel ernten und im Anschluss Süssmost pressen. Zum Zeitpunkt der Medienkonferenz sind Zweitklässler aus dem Schulhaus Steigerhubel aktiv. Eine Gruppe verweilt bei den Kühen, darf die Wärme der Tiere spüren, auf deren Rücken sitzen, die Euter anfassen und die Kälbchen füttern. Die zweite Gruppe packt in der Scheune darüber an, drischt mit der Standdreschmaschine Dinkel, verarbeitet an Handmühlen das Korn zu Mehl und bringt das Stroh zu den Pferden. 

Rea Tola und Luzia Vonwil sind Lehrerinnen an der Primarschule Spiegel und regelmässige Gäste auf der Horbermatt. Fünf halbe Tage pro Schuljahr verbringen sie jeweils mit ihren Viertklässlern hier – und das schon seit Jahren. Für beide ist es ein Herzensprojekt. Tola meint: «Was die Kinder hier erleben, geht tiefer. Stichwort ‹Foodwaste›: Wenn sie wissen, wie viel Arbeit hinter den Lebensmitteln steckt, gehen sie sorgsamer damit um. Ich habe den Eindruck, dass sie durch diese Erlebnisse für den Schutz der Natur ansprechbarer werden.» Und Vonwil ergänzt: «Wenn man das Thema in der Schule behandelt, wird nur die intellektuelle Ebene angesprochen. Das direkte Erleben hier geht über die Emotionen.» Es gebe auch Kinder, die sich überwinden müssen. Aber Tola erzählt: «Bei mir ist in den letzten Jahren jedes Kind auf einer Kuh gesessen, hat im Heu herumgetobt und hat sich getraut, Kuhdraht anzufassen, der unter Strom steht. Das sind Erlebnisse, von denen ich überzeugt bin, dass sie bleiben. Von den 12 Kompetenzbereichen von Natur-Mensch-Gesellschaft im Lehrplan sind 10 problemlos hier abzudecken – für mich ist klar, dass man auf den Bauernhof gehen muss.»

Für Hans Jörg Rüegsegger, den Präsidenten des Berner Bauernverbandes, geht es darum, die Barrieren zwischen Stadt und Land abzubauen: «Früher hatten die meisten Kinder noch einen Kontakt in die Landwirtschaft – das ist heute nicht mehr so.»  SchuB wird deshalb vom Bauernverband getragen und teilfinanziert. 

Auch die kantonale Bildungsdirektorin, Christine Häsler, zeigt sich begeistert vom Angebot: «Was die Kinder hier erleben, öffnet ihnen eine neue Lebenswelt und wird sie für die Zukunft prägen. Wir sind immer mobiler, die Grenzen zwischen Stadt und Land verwischen immer stärker. Das heisst aber nicht, dass das gegenseitige Verständnis automatisch wächst – daran müssen wir arbeiten.»

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