Gesprächsfetzen und Lachen schallt entgegen, sobald sich die Tür zum «Dreigänger» im Liebefeld öffnet. Die Holztische sind gut besetzt, kleine Gruppen sitzen gemütlich beisammen, plaudern, trinken Kaffee, lachen. Die Mischung ist bunt, Mütter mit Kindern verbringen ihre Kaffeepause ebenso hier wie Geschäftsfreunde oder alte Damen aus der Nachbarschaft. Eine Stimmung, die bestens zum «Drahtesel» passt – herzlich und warm, offen für Menschen aller Art.
Breite Palette an Angeboten
Das hauseigene Restaurant mit dazugehörigem Second-Hand- Laden ist nur eines von mehreren Standbeinen der Stiftung Sinnovativ, von welcher der «Drahtesel» getragen wird. Gleich nebenan geht es weitaus lauter zu, denn neben einer Liegenschaft für betreutes Wohnen, einem Veloladen und einer Metallwerkstatt rundet auch eine besondere Werkstatt das breite Angebot ab: In der Exportwerkstatt von «Velafrica» werden gespendete Zweiräder repariert oder zu Ersatzteilen auseinandergenommen. Mit Schraubenschlüssel und Kettenöl hantieren hier geflüchtete Männer und Frauen, begleitet und unterstützt von Angestellten und Freiwilligen. Containerweise werden die fertigen Räder nach Süden verschifft und zusammen mit «Know-how» zu Partnern in Afrika exportiert. «Velafrica» hilft damit beim Aufbau von Velozentren, die Ausbildungslehrgänge und Jobs in Velomechanik ermöglichen. «Das Velo ist der Rohstoff und gleichzeitig das Mittel zum Zweck für nachhaltige Entwicklung», erklärt Agnes Hofmann. Auch der «Drahtesel» im Liebefeld bietet Ausbildungen an. Jugendliche mit IV-Betreuung finden zahlreiche mögliche Berufsfelder – ob im Laden, im Gastrobetrieb, im Büro oder in den beiden Werkstätten.
Platz für Paradiesvögel
Das Spektrum der Teilnehmenden sei sehr breit, die Bedürfnisse unterschiedlich. Von begleiteten Lehrstellen für Jugendliche, Beratung und Jobcoachings bis hin zur Suche nach möglichen Anschlusslösungen nach der Aussteuerung ist alles möglich. «Meistens ist die Arbeitslosigkeit nicht das einzige Problem», weiss Hofmann, «Man muss sich Zeit nehmen, um die grundlegenden Probleme anzugehen.» Denn bei Schnellschüssen, so ihre Erfahrung, landen die Menschen sonst rasch wieder in alten Mustern und beim «Drahtesel». Hauptziel ist, dass die Menschen auf eigenen Beinen stehen. Eine besondere Gruppe sind dabei Jugendliche, die andernorts ihre Lehre abgebrochen haben und nicht weiterwissen. Im «Drahtesel» haben sie die Möglichkeit, ihre Ausbildung abzuschliessen. «Andere Betriebe leisten sich ab und zu einen Paradiesvogel. Wir scheuen uns nicht davor, Jugendliche aufzunehmen, die in anderen Betrieben als chancenlos gelten», betont Luc Mentha und Agnes Hofmann lacht: «Wir haben viele solche Paradiesvögel bei uns! Doch genau diese liegen uns hier am Herzen.»
Schwierige Balance
Das Konzept des «Drahtesels» ist erfolgreich. Die Zufriedenheit bei den Teilnehmenden und den zuweisenden Stellen sei gross, erzählen Hofmann und Mentha. Doch trotz toller Rückmeldung ist die Arbeit im «Drahtesel» nicht nur einfach, wie Mentha erklärt. «Es ist keine Sonntagsschule», meint er schmunzelnd. Finanzieller Druck sei da, die Abhängigkeit vom Kanton und von der aktuellen Situation auf dem Arbeitsmarkt ebenfalls. Auch hat in den letzten Jahren der Wettbewerb stark zugenommen. Aufträge vom Kanton sind nicht mehr selbstverständlich, sondern werden unter mehreren Bewerbern vergeben. Herausfordernd für den Stiftungsrat und die Geschäftsleitung. «Wir müssen als Unternehmen knallhart auf die Finanzen schauen und unsere Strukturen laufend anpassen», so Luc Mentha. Den Klischee-Sozialarbeiter in Wollsocken und allzu idealistischen Vorstellungen findet man im Betrieb im Liebefeld längst nicht mehr. Die gesunde Balance zu finden ist die grosse Kunst. «Wir versuchen, nachhaltig zu wirtschaften auf möglichst breitem Feld», führt Agnes Hofmann aus, «gleichzeitig wollen wir unsere Kultur weiterleben und immer möglichst menschlich handeln.»
Im Quartier verankert
Um diese Menschlichkeit weiter zu pflegen, ist der «Drahtesel» auf Unterstützung angewiesen, sowohl finanziell als auch materiell. Die betreute WG «Weierbühl» beispielsweise platzt aus allen Nähten. Ein grosser Wunsch ist deshalb der Erwerb eines zweiten Wohnhauses in Köniz, um mehr Betreuungsplätze anzubieten. Auch sonstige Partnerschaften mit Könizer Unternehmen und Betrieben stehen auf dem Wunschzettel des Stiftungsrats und der Geschäftsleitung. Ein Herzensanliegen von Agnes Hofmann und Luc Mentha ging aber bereits Anfang Jahr in Erfüllung. Mit der Eröffnung des «Dreigänger»-Restaurants, Laden und Kulturort in einem. «Wir sind glücklich mit dem Ort hier, er hat sich langsam gefüllt mit Menschen, gutem Essen, mit Leben», freut sich Agnes Hofmann. Auch Luc Mentha ist wohl hier, erinnert ihn die Atmosphäre doch an eine urbane Beizenkultur. «Wir möchten im Quartier als Treffpunkt ankommen», so seine Vision. Davon ist der «Dreigänger» auf alle Fälle nicht mehr weit entfernt, mit Charme und Gemütlichkeit wird er die Liebefelder bald für sich gewonnen haben.