«Mier giit’s ganz stüüff!», so Tony Lehmann auf die Frage von Radio-Moderator Adrian Küpfer nach dessen Wohlbefinden. Und prompt geriet der Berner an die Grenzen seines Sprachverständnisses. Dabei brachte der Leiter der Kapelle «Hu-tä-tä» bloss zum Ausdruck, dass er sich vor seinem Auftritt ganz ordentlich fühle. Er verriet auch, dass der Name «Hu-tä-tä» an die furchterregende Sagengestalt erinnert, die nach altem Sensler Volksglauben mit ihrer wilden Reiterhorde nachts die Gegend unsicher machte.
Gäste von Adrian Küpfer waren die Schmittener Lehrerin Trudi Schneuwly, Vorstandsmitglied des Deutschfreiburger Heimatkundevereins (HKV) und der Kerzerser Grossrat, Gemüsebauer, Marktfahrer und Mundart-
autor Ueli Johner. Teil der vom Verein «Wier Seisler» und dem HKV organisierten Sendung bildete auch der Schnabelweid-Briefkasten, wo der Taferser Germanist und Autor des Senslerdeutschen Wörterbuches, Christian Schmutz, und der Dialektexperte Markus Gasser Mundartfragen beantworteten.
Murtner und Kerzerser Berner?
Mit Ueli Johner hatte der Moderator keine Verständigungsprobleme. In breitestem Berndeutsch beantwortete dieser dessen Fragen und las aus seinen Mundartgeschichten vor. In diesen erzählt er aus seiner Jugendzeit und über amüsante Erlebnisse als Marktfahrer in Bern. «Als Politiker im Grossen Rat fühle ich mich klar als Freiburger. Auf dem Markt auf dem Bundesplatz bin ich aber Berner», bekannte Johner und begründete, weshalb sich die Mehrheit der Bevölkerung im Raum Murten – Kerzers eher als Berner und weniger als Freiburger fühlt: «Nach der Schlacht von Murten 1476 wurde das Murtenbiet eine gemeine Herrschaft von Bern und Freiburg, wobei Bern 1530 dort die Reformation durchsetzte. Im 18. Jahrhundert wanderten viele Berner ein. Die bis anhin vorwiegend welsche Gegend wurde zweisprachig. Mit der Mediationsakte wurde Murten 1803 gegen dessen Willen dem Kanton Freiburg zugeteilt und 1848 Hauptort des neu gebildeten Seebezirks. Dieser bildet ein buntes Patchwork von deutsch- und französischsprachigen sowie reformierten und katholischen Gemeinden, ohne gemeinsame Identität». Weil die Verkehrsverbindungen in Richtung Freiburg früher ungünstig waren, gelte die Ausrichtung nach Bern auch wirtschaftlich, so Johner.
Dialekterhalt dank Isolation
Trudi Schneuwly sieht sich und die Mehrheit des Sensebezirks im Kanton Freiburg fest verankert. Als Mitglied einer Trachtentanzgruppe fühlt sie sich auch der Tradition verpflichtet, ohne aber nur rückwärts zu schauen. «Ich pflege meinen Sensler Dialekt, auch wenn ich ausserhalb des Kantons auftrete und nicht immer auf Anhieb verstanden werde», versicherte sie. Dies sei nicht immer so gewesen. Bis vor 30 Jahren hätten sich viele Sensler auswärts ihres urtümlichen Dialektes geschämt und sprachlich angepasst. Das sei heute glücklicherweise anders. Die Jungen seien stolz auf ihren Dialekt. Christian Schmutz sieht die Situation des Sensebezirks ebenfalls historisch begründet: «Dieser war von jeher Untertanenland der Stadt Freiburg. Nach der Reformation hat er sich wirtschaftlich und kulturell vom angrenzenden protestantischen Bernbiet und vom französischsprachigen Kantonsteil abgeschottet. Dadurch blieben der höchstalemannische Dialekt und viele alte Bräuche erhalten. Die Kehrseite dieser auch von der katholischen Kirche geförderten Isolation waren Bildungsrückstand, Armut und ein unterentwickeltes Selbstbewusstsein. Dies hat sich erst mit dem sozioökonomischen Wandel in den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts geändert.» Trudi Schneuwly und Christian Schmutz betrachten den Dialekt, nebst einem aktiven Kultur- und Vereinsleben, als wichtigstes Identitätsmerkmal des Sensebezirks, selbst wenn es zwischen dem Unter-, Mittel- und Oberland sprachliche Nuancen gebe. Aus den Antworten zu
den im Schnabelweid-Briefkasten eingegangenen Fragen war zu erfahren, dass sich viele senslerdeutsche Ausdrücke an das Alt- und Mittelhochdeutsche, das Latein, das Französische und auch an das welsche Patois anlehnen. Typische Beispiele sind «d’Fageta» = Hosentasche, «de Pärisou» = Regenschirm, «d’Nüüscha» = Schnupfen oder «tuuffe» = öffnen. Und als Christian Schmutz dem Radiomoderator vor der Sendung mitteilte: «I gange mi flingg ga tuusche», ging er sich bloss rasch umziehen und nicht etwa duschen.
Neben der Kapelle «Hu-tä-tä» lockerte auch Christian Schmutz als Slam-Poet den Anlass mit Kurztexten auf und bewies dabei, dass der Sensler Dialekt lebt, indem er sich auch modernen gesellschaftlichen Strömungen anpasst.