Vision versus Skepsis

Vision versus Skepsis

Ende Mai sorgte das Kollektiv centraleviva mit der Besetzung einer leerstehenden Lagerhalle mitten in Köniz für Furore im Quartier. Die Besetzung verlief friedlich, bunt und kreativ. Der Bedarf an Freiraum und Mitgestaltung ist laut dem Kollektiv auch nach der Räumung gross.

Es war eine Nacht- und Nebelaktion, wie man sie sich vorstellt: Ausgerüstet mit Rucksäcken und Schlafsäcken machten sich im Schutz der Dunkelheit mehrere kleine Gruppen Jugendlicher und junger Erwachsener auf den Weg nach Köniz. Das Ziel, eine leerstehende Lagerhalle an der Sägestrasse 65, hatten die jungen Menschen ganz bewusst und mit viel Umsicht ausgewählt und im Vorfeld auskundschaftet. Die Besetzung verläuft ruhig, koordiniert und friedlich. Als die Sonne über dem Liebefeldquartier aufgeht, hängen die ersten Transparente an der Fassade und im Inneren des Gebäudes wird bereits fleissig gewerkelt. Was ab da geschah, stiess medial auf grosses Echo. Das Kollektiv bot ein buntes Programm, stand im Austausch mit den Behörden – und musste die Lagerhalle nach zwei Wochen wieder räumen. Friedlich und gefasst.

Durchgeplantes Projekt

Innerhalb der beiden Wochen ist an der Sägestrasse viel passiert. Ein soziokulturelles Programm stand bereits fest, man suchte Austausch mit den Menschen im Quartier, wollte einen Raum schaffen, in dem alle willkommen sind und eine offene, herzliche Atmosphäre herrscht. Wer davon ausgeht, dass Besetzerinnen und Besetzer nichts als ein Zusammenschluss chaotischer und rebellischer Jugendlicher sind, dürfte ab der grossen Arbeitsleistung, Vorbereitung und dem bewussten Umgang mit der eigenen Verantwortung staunen. Lu*, eine Vertreterin des Kollektivs, die anonym bleiben möchte erzählt von den zahlreichen Stunden, die im Vorfeld in das Projekt investiert worden sind. Arbeitsgruppen, Sitzungen, Abklärungen rund um die Infrastruktur, Sicherheit, Programmangebote, Verpflegung – organisatorisch war die Besetzung kein Kinderspiel. «Bis zum Moment, als wir rein sind, waren wir gut organisiert, ab da mussten wir uns etwas neu finden», erzählt Lu. Neu finden heisst: auf den Moment reagieren, auftretende Probleme lösen, sich im normalen Alltag einpendeln.

Viele Ideen, kein Raum

Ein Alltag, der intensiv sein kann. Dabei zeigten sich die jungen Menschen als findige und überlegte Köpfe. In kürzester Zeit wurden Toiletten eingebaut, eine Bühne entstand, im Quartier wurden Kontakte geknüpft. «Es war uns wichtig, dass auch Leute aus dem Quartier vorbeikommen können. Wir waren auch nach aussen offen und freundlich, es war farbig und wir wollten das Niederschwellige pflegen», betont Lu. Das Angebot wurde auch gut genutzt, vor allem Familien hätten an den Angeboten für Kinder teilgenommen, aber auch Seniorinnen und Senioren seien am Jassnachmittag vorbeigekommen. Diese gelebte sozialräumliche Arbeit ist für das Kollektiv ein wichtiger Aspekt, genauso wie der offene Raum für neue Ideen und eigene Gestaltung mit Kreativateliers, Kinoabenden, Mittagessen für die Büetzerinnen und Büetzer der umliegenden Firmen, Yogasessions – an Ideen mangelte es nicht. «Wir wünschen uns einen Kulturraum, in dem wir selber entscheiden können, was wir machen», beschreibt Lu die Vision. «Wir möchten Raum haben, wo man hin kann und willkommen ist. Viele junge Menschen sind motiviert, Sachen zu planen und zu organisieren, es gibt aber keinen Platz dafür.» Gerade in Köniz sei wenig vorhanden diesbezüglich. Jugendtreffs werden von Erwachsenen geführt und nicht von den Jugendlichen selbst, sind räumlich sehr begrenzt. Öffentliche Plätze bieten Konfliktpotential rund um Lärm oder Infrastruktur.

Sicherheitsbedenken

Dass sich junge Menschen für ihre Freiräume engagieren wollen und dabei gleichzeitig auch Aspekte der Quartierarbeit abdecken möchten, ist bewundernswert. Ob es dafür den Schritt in die Illegalität in Form der Besetzung einer leeren Liegenschaft braucht, kann man hinterfragen. Mit der Besitzerin der Liegenschaft sei der Kontakt sehr wohlwollend gewesen. Auch der Austausch mit Vertretenden der Gemeinde und mit der Polizei sei anfänglich sehr freundlich und offen gewesen. Lu erzählt, dass die Stimmung sehr unerwartet umgeschlagen habe. Für das Kollektiv sei es enttäuschend, dass seitens Gemeinde wenig Wille da gewesen sei, gemeinsame Lösungen zu suchen. Die Gemeinde Köniz äussert dazu auf Anfrage: «Die  Vertreterinnen der Gemeinde, die mit den Besetzerinnen Kontakt hatten, haben sie als verantwortungsbewusst wahrgenommen. Das Kollektiv hat sich Gedanken um die Sicherheit gemacht und auch entsprechende Massnahmen getroffen.» Nach Abklärungen mit Brandschutzexperten sei man jedoch zum Schluss gekommen, dass die feuerpolizeilichen und sicherheitstechnischen Risiken zu gross waren. Auch sei eine Zwischennutzung, wie sie das Kollektiv angestrebt habe, nicht zonenkonform und die Besetzung illegal.

Vision bleibt bestehen

Die Haltung der Gemeinde stösst beim Kollektiv mehrheitlich auf Unverständnis: «Mit Wille wäre vieles möglich gewesen, aber der Wille muss auch da sein. Wir hätten uns gewünscht, dass sie unsere Forderungen anhören und unser Sicherheitskonzept auch lesen.» Nun steht nach der Enttäuschung erst mal Erholung auf dem Programm. Neben Job und Studium ein solch grosses Projekt zu stemmen, ist kein Spaziergang. Über das Risiko einer Räumung seien sich alle Beteiligten im Klaren gewesen, dennoch ist viel Trauer und Wut da. Aufgeben wollen die Jungen indes nicht, das Anliegen nach mehr Freiraum und Gestaltungsmöglichkeit bleibt bestehen. «Man muss eine Balance finden. Sonst ist es schwer, dass man nicht in ein Burnout gerät», so Lu, «aber viele Menschen aus dem Kollektiv sind sicher weiterhin motiviert.»

*Name geändert

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