«Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht»

«Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht»

Die Fachstelle Migration der Reformierten Kirche Bern-Jura-Solothurn verlieh dem Verein Offenes Scherli einen Förderpreis.

«Ich kenne ‹Offenes Scherli›, es dämpft harte Situationen ab.» So begrüsste die Gemeindepräsidentin Tanja Bauer die rund 100 Gäste. Ihre Achtung galt dem Verein und den Einwohnerinnen von Niederscherli, die mit Respekt und unermüdlicher Arbeit den Flüchtenden als Menschen – immer auf Augenhöhe – begegnen. Sie sprach von dem schwierigen Thema Migration, welches immer neu angegangen werden muss, um menschlicher zusammen leben zu können.

Was geschah?

2015 wurde Niederscherli gebeten, zirka 100 Migranten (junge Männer z.B. aus Afghanistan, Eritrea und der Mongolei) im Schulhaus aufzunehmen. Angst, aber auch grosses Mitgefühl war bei der Bevölkerung zu beobachten. Die Heilsarmee betreute die jungen Menschen und war mit der hohen Anzahl gefordert. Der Ökonom Jürg Schneider gründete mit ein paar Freiwilligen den Verein Offenes Scherli. Dieser strebt die Zusammenarbeit mit den Geflüchteten, sozialen und politischen Institutionen sowie freiwilligen Helferinnen an. Die Mitglieder des Vereins setzen ein Zeichen gegen Nationalismus und Rassismus. Sie führten Informationsabende durch. Die Bevölkerung von Niederscherli hörte von grausamen Flucht- und Familiengeschichten. Die Freiwilligen begriffen schnell, dass man die jungen Männer vom ersten Tag an begleiten musste. So wurden Ressorts für Integrationsaufgaben, Berufs- und Lehrstellensuche sowie ein Göttisystem gebildet. Es gab elf Klassen für Deutschunterricht. 17 junge Leute konnten bis heute eine Lehre erfolgreich abschliessen. Nach einem Jahr schloss das Zentrum; so suchten die Vereinsmitglieder Wohnungen für diese Menschen, was nicht einfach war. Kaum einer der jungen Männer hatte eine Ahnung, wie man einen Haushalt führt. Einmal im Monat gibt es noch heute einen Anlass mit juristischen Gesprächen, für amtliche Briefe etwa oder als Übersetzungshilfe. Jeden Samstag «tschutten» Menschen mit und ohne Fluchthintergrund. 

Der Preis

Carsten Schmitt, Fachstellenleiter Migration der Reformierten Kirche Bern-Jura-Solothurn, sprach vom Zupacken, vom Dranbleiben, von äusserst geschicktem Kämpfen von Jürg Schneider und den mitstreitenden Freiwilligen für die Rechte der Geflohenen, für eine Langzeit-Nothilfe oder für deren Integration. Ein Kampf gegen unmenschliche Härten im Asylwesen, wenn ein junger Mann aus gut aufgegleister Lehre zur Ausschaffung gezwungen wird. «Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht», sagte einst Bertold Brecht. Diese Beharrlichkeit im Kampf gegen Unrecht in unserem Rechtsstaat, in unserer Politik habe ihn und sein Gremium tief beeindruckt. Die Zielstrebigkeit, im Parlament zu wirken, die Professionalität, mit der Jürg Schneider seine Lobbying-Arbeit betreibt und sein schnelles Aufdecken von Missständen seien Gründe genug für den Förderpreis von 5000 Franken. Mit Freude würden sie den Preis an Jürg Schneider übergeben, und Schneider meinte: «Die Geflüchteten haben diesen Preis verdient.» Ohne die Hilfe der vielen Freiwilligen, ohne die Unterstützung von Kirchen, Finanziers, Politikerinnen und Gönnern hätte er diese Arbeit nie machen können, meinte er bescheiden.

Fest

Die geladenen Gäste wurden anschliessend mit herrlichen Speisen, Gemüse, Poulet- und Rindsgeschnetzeltem sowie Injera, dem gesäuerten Fladenbrot aus Äthiopien, verwöhnt. Es war ein Festmahl in der Kochkunst der geflüchteten Menschen, um ihre grosse Kulinarik zu ehren. Ein ehemaliger Asylsuchender, der nun als Buchhalter im Inselspital arbeitet, meint: «Wir sind alle Menschen. Es ist schön, wenn viele zusammenkommen, auch Menschen aus der Ukraine.»

Theater

Nach dem Essen wurden die Gäste Zeuginnen eines berührenden, intimen Theaterstückes. Die Regisseurin sagte: «Wir sind ein Kollektiv von Menschen mit und ohne Fluchthintergrund, wir spielen alle zusammen.» Die Gruppe «Kollektiv auso» spielte ein Stück mit dem Namen «1 geteilt macht 2». Eine Schauspielerin philosophierte über «Ursprung ist Eisprung» und leitete über zum Thema Trennung. Eindrücklich spielten die jungen Menschen den Drill in einem eritreischen Militärlager, bis einer der Spieler zusammenbricht. Sie erzählten mit Tränen in den Augen von ihren Trennungen von einem Hund, von ihrer Heimat, vom gewohnten Essen, vom radikalisierten IS- Bruder, von der geliebten Mutter. Dazwischen sangen sie immer wieder die melancholischen Klänge von Liedern. 

Ein hoffnungsvoller, ein wehmütiger, aber vor allem ein ehrlicher Abend.

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