Christoph Spycher, wie fühlen Sie sich kurz vor der Winterpause?
Wir sind gut unterwegs, was uns natürlich ein gutes Gefühl gibt. Allerdings ist die Anspannung immer noch da, denn es stehen noch 2 wichtige Spiele an, bei denen wir keinesfalls nachlassen dürfen, damit wir nach dem intensiven Halbjahr eine gute Ausgangslage haben und während der Winterpause aufatmen können.
Wie sieht Ihre Halbzeitbilanz für die erste Mannschaft aus?
Sehr positiv. Wir sind mit dem Meisterschaftsverlauf zufrieden. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir die tolle letzte Saison mit dieser Überzeugung bestätigen konnten. Im Schweizer Cup haben wir uns für den Viertelfinal qualifiziert und spielten in der Champions League. Sicher hätten wir uns da den einen oder anderen Punkt mehr auf dem Konto gewünscht. Aber wir wussten, dass es eine schwierige Aufgabe wird. Ich bin aber überzeugt, dass die Mannschaft sehr viel lernen konnte aus diesen Spielen. Wir haben viele junge Spieler die Fortschritte gemacht haben, und im Kader der Nationalmannschaft sind vier YB-Spieler vertreten. Das ist eine fantastische Auszeichnung. Weitere Spieler sind in ihren Ländern in der Nationalmannschaft aufgeboten. So gesehen sind wir auf Kurs, 100-prozentig zufrieden sind wir nie, sondern immer auf der Suche, was wir noch besser machen können und wo die nächsten Gefahren lauern.
Die Mannschaft hat bislang eine bemerkenswerte Konstanz gezeigt und ganz wenig «Veryoungboyst». Auf was führen Sie dies zurück?
Der Titel letztes Jahr war für uns unglaublich wichtig, dass wir endlich die Geschichte des Wartens auf den Meistertitel beenden konnten, die mich und alle, die mit YB zu tun haben, genervt hat. Die Mannschaft konnte die Mentalität beibehalten und hat mit dem neuen Trainer Gerardo Seoane einen unglaublichen Erfolgshunger entwickelt. Das Motto am ersten Arbeitstag der Mannschaft lautete: «Wir wollen uns nicht an denen orientieren, die zufrieden sind, wenn sie etwas gewinnen, sondern an denen, welchen ein Titelgewinn Hunger auf mehr gibt.» Wir müssen uns bewusst sein: Wenn wir den Meisterpokal am Saisonende wieder in die Höhe stemmen wollen, müssen wir mehr machen, härter arbeiten, noch besser werden als letztes Jahr. Da hat bislang auch Trainer Gerardo Seoane einen fantastischen Job gemacht, wie er den Hunger bei der Mannschaft wecken konnte und neue Reizpunkte im Training setzte. Es war gar nicht schlecht, dass ein neuer Trainer kam, der eine neue Ansprache und einen neuen Zugang zur Mannschaft hat. Dadurch konnten wir aus dem Rhythmus und dem Wiederkehrenden ausbrechen.
Welche Schlüsse ziehen Sie aus den Champions League-Einsätzen?
Die Erkenntnis, dass es noch viel zu tun gibt. Es ist gut, dass man erkennt, dass nicht nur das Trikot anders ist – das Paulo Dybala von Juventus nicht nur ein weiss/schwarzes Trikot und unsere Spieler das gelb/schwarze Trikot tragen. Sondern es noch weitere Unterschiede gibt, bei denen sich unsere Spieler weiterentwickeln müssen, um noch besser zu werden, um letztlich den Traum von einer grossen Liga oder in einer grossen Mannschaft zu spielen, zu verwirklichen. Manchmal ist so ein Spiegel gar nicht schlecht, um zu sehen, dass dafür noch viel gearbeitet werden muss. Die Gegner waren sehr effizient und haben aus jeder Chance ein Tor erzielt. Ich habe mit YB immer eine Mannschaft gesehen, die mit unglaublichem Engagement, mutig und frech gespielt hat. Insbesondere im letzten Spiel im Stade de Suisse gegen Juventus Turin. Da konnten wir erstmals in der Serie mit einer kompakten Leistung in der Offen- wie Defensive in Führung gehen und sie mit dem 2:0 sogar ausbauen. In diesem Spiel konnten wir endlich auch das Glück auf unsere Seite zwingen. Mit einigen jungen Spielern im Team setzten wir mit dem 2:1-Sieg gegen Juve einen Glanzpunkt hinter unsere ersten Champions-League-Einsätze, der sich sehr motivierend auf uns alle auswirken wird. Man muss auch die Relationen sehen mit welchen Mitteln die anderen Vereine im Vergleich zu uns arbeiten.
Gibt es für die 2. Saisonhälfte Mutationen im Spielerkader?
Das ist nicht abschätzbar und wäre reine Spekulation. Von unserem Kader hat sicher der Eine oder Andere die Qualität in einer Top-Liga zu spielen. Grundsätzlich ist jedoch der Winter aufgrund der Eingewöhnungszeit für die Spieler nicht der Idealzeitpunkt für einen Wechsel.
Was darf man in der zweiten Saisonhälfte von YB erwarten?
Ziel ist natürlich, dass es weiterhin so erfolgreich läuft. Die Kadenz, die wir angeschlagen haben, ist sehr hoch. Ich bin mir bewusst, dass mal die Phase eintreten kann, bei der wir das Wettkampfglück nicht auf unserer Seite haben und die eine oder andere Niederlage mehr einstecken müssen. Wir arbeiten aber hart daran, dass die Wahrscheinlichkeit dazu möglichst klein ist.
Welches sind Ihre Ziele für den Schweizer Cup und die 2. Saisonhälfte?
Sicher so weitermachen, wie wir bislang gespielt haben. Unser Ziel ist ganz klar die Titelverteidigung. Wir wollen den Titelgewinn nochmals erleben und die Menschen von Bern damit glücklich machen. Im Schweizer Cup stehen wir im Viertelfinal und sind drei Spiele vom Titel entfernt. Da ist es klar, dass wir alles daransetzen, es bis in den Final zu schaffen. Im Finalspiel möchten wir es dann besser machen als im Vorjahr, aber das ist jetzt noch weit weg.
Sie haben den Meisterpokal nach Bern geholt und mit der Verpflichtung von Trainer Gerardo Seoane ein «goldenes Händchen» bewiesen. Was ist Ihr Erfolgsrezept.
Ich glaube, dass ich gut mit Menschen umgehen kann, die Menschen spüre, sie gut einschätzen und auch verbinden kann, und dass ich ein Superteam um mich habe. Beim Antritt der Stelle als Sportchef galt mein erster Aspekt, die Leute, die mir wichtig sind, mitzunehmen und ihnen Verantwortung zu übertragen. So wie wir heute aufgestellt sind, bin ich sehr glücklich, mit diesen Menschen zusammenarbeiten zu dürfen, sie machen mich jeden Tag besser. Es ist nicht der Erfolg einer einzelnen Person, sondern ein sehr gutes Beispiel für positive Teamarbeit, bei der sich ganz viele Leute einbringen und im Hintergrund einen fantastischen Job machen.
Seit Sie Sportchef von YB sind ist im Club Ruhe eingekehrt. Was ist Ihnen wichtig in der Zusammenarbeit mit Spielern, Staff und Geschäftspartnern?
Ich habe mich gefragt, wie ich funktionieren will. Dabei habe ich Werte definiert, die mir wichtig sind. Werte wie Arbeitseinstellung, Ehrlichkeit, Offenheit, direkte Kommunikation, Teamarbeit, den Ehrgeiz haben, sich jeden Tag zu verbessern, das Maximum herauszuholen und letztlich auch die Konsequenz, diesen Weg nicht nur an guten Tagen zu gehen. An diesen Werten lasse ich mich messen. Das Gleiche verlange ich jedoch auch von den Spielern und dem Team.
Sie sind seit 2 Jahren Sportchef. Wie haben sie den Wechsel vom Spieler in die neue Funktion erlebt?
Der Zwischenschritt als Talentmanager während mehr als 2 Jahren bei YB war für mich sehr wichtig. Der Wechsel in die 2. Karriere ist nicht einfach. Das geht jedem Fussballer oder Sportler so. Selbst wenn man beim Fussball bleibt, sitzt man am ersten Tag an einem Pult und fragt sich: «Ja, was muss ich jetzt machen?» Das ist auch nicht schlimm, man muss da irgendwie hineinwachsen. Das ist auch beim Antritt einer Lehre im Alter von 16 Jahren so. Bei uns Sportlern findet dies dann erst im Alter ab 30 Jahren statt. Da bringt man als ehemaliger Sportler den Ehrgeiz und die Offenheit mit, diese Herausforderung anzunehmen. Das war auch bei der Funktion als Sportchef der Fall. Ich habe dies der Mannschaft so kommuniziert: «Ich trete den Job als Sportchef an und glaube zu wissen, was für Herausforderungen auf mich zukommen. Aber es wird auch viele andere Herausforderungen geben, von denen ich heute noch keine Ahnung habe.» Schlüsselelement für mich war, zuerst das Team um mich herum aufzubauen. Dabei habe ich rasch gemerkt, dass ich mich zusammen mit dem Team ständig verbessern und mit externen Inputs die Herausforderungen meistern konnte. Als Spieler ist man fremdbestimmt und steht phasenweise intensiv im Einsatz. Es gibt aber auch Unterbrüche, wo man nicht gefragt ist. In der Funktion als Sportchef steht man im Fokus und ist dauernd sehr intensiv im Einsatz, damit der Betrieb reibungslos funktioniert. Denn man ist mitverantwortlich für die Unternehmung, in der es auch in anderen Bereichen Herausforderungen zu bewältigen gibt. Dies war mir als Spieler nie so bewusst.


