Zu viele Stimmen sind verstummt

Zu viele Stimmen sind verstummt

Nach 94 Jahren endet die Geschichte des Männerchores wegen Personalmangels. Manfred Stöckli, der letzte Präsident, berichtet über den Rettungsversuch durch die Fusion zweier Chöre, und eine alte Festrede gibt Einblick in die Gründungszeit.

Ende Oktober hatte der Männerchor Guggisberg seinen letzten Auftritt im Pflegezentrum Schwarzenburg. «Es hat noch ziemlich gut geklungen», erzählt Manfred Stöckli. Ein letztes Mal erklang «Freundschaft», ein letztes Mal «Bajazzo». Nach den letzten Tönen schlich sich auch bei Stöckli und seinen Kollegen ein wenig Wehmut ein: «Einige von uns waren mehr als fünfzig Jahre im Chor aktiv.»

Doch das Ende hatte sich abgezeichnet, denn beim Gesang wurde die Luft immer dünner. Das Minimum für einen Chor sind drei Sänger in jeder der vier Stimmlagen. Mittlerweile haben Todesfälle, Wegzüge und Austritte die Gruppe auf elf Personen dezimiert, Zuzüge waren keine in Sicht. Und bei den verbliebenen Sängern sind einige bereits mehr als 80 Jahre alt. «Mit dem Dirigenten haben vier Personen den Jahrgang 1941 – da muss man kein Hellseher sein, um das Ende zu sehen», meint Stöckli.

Ein Déjà-vu

Er stand bereits einmal an diesem Punkt, 2016, als Präsident des Männerchors Zumholz. Das Singen war mangels Mitgliedern kein Thema mehr. Die Proben waren stillgelegt, andere Aktivitäten liefen auf Sparflamme: «Am ersten Dienstag in jedem geraden Monat hatten wir uns noch getroffen zum Jassen, Kegeln oder einfach, um zusammenzusitzen», erklärt Stöckli. Da den Chor in Guggisberg das gleiche Problem plagte, fragte er beim «Zumholz» für einen Zusammenschluss an. «Schliesslich haben acht Sänger und der Dirigent nach Guggisberg gewechselt», erzählt Stöckli. «Am 3. März 2016 war die erste gemeinsame Singübung, mit 16 Personen.» In den Vorstand des neu formierten Männerchors rutschte er eher widerwillig: «Kurz nach unserem Zuzug verstarb der Vizepräsident. Dem Verein zuliebe habe ich das Amt besetzt. Zwei Jahre später gab der Präsident den Rücktritt – da habe ich diesen Posten halt auch noch übernommen.» Trotz des Engagements der Zumholzer fehlte am Schluss schlicht das Personal. Zuletzt machte Stöcklis Frau die Buchhaltung, der Vizepräsident war gleichzeitig Kassier. «Im Vorstand des Männerchors Guggisberg sind nur noch ehemalige Zumholzer. Und der Sekretär will auch noch wegziehen. Da haben wir als Verein gesagt: Jetzt ist fertig.»

Singen trotz schlechter wirtschaftlicher Lage

Schluss nach 94 Jahren. Die Gründungsversammlung vom 28. Januar 1928 ist zu lange her, als dass sich jemand daran erinnern könnte. Anlässlich der 75-Jahr-Feier hatte Herrmann Künzi über die Anfänge des Chors geschrieben, dass ein paar Männer «trotz der schlechten wirtschaftlichen Lage fröhlich zusammen sein und miteinander singen wollten». Unter der Leitung des damaligen Lehrers Ernst Grunder startete der Chor mit 48 Mitgliedern und probte wöchentlich im Sternen-Saal. 

Im Herbst 1939 wurden die Gesangsübungen bis auf Weiteres eingestellt – wegen der Mobilmachung der Schweizer Armee. Erst zwei Jahre später nahm man die Proben wieder auf, aber bereits damals lichteten sich die Reihen. An der Hauptversammlung 1948 waren noch 26 Mitglieder anwesend. Im Jahr darauf entstand der Jodlerklub Guggershörnli, «was dem Männerchor doch weh tat, waren doch ein Jahr später nur noch 16 Mitglieder an der Hauptversammlung».

Trotz der Konkurrenz konnte sich der Chor über die Jahre behaupten. Regelmässig trat er auf, in der Kirche Guggisberg, an der Bundesfeier auf dem Dorfplatz, einmal im Jahr am Gottesdienst in Sangernboden oder am Winterkonzert, jeweils am 26. Dezember, verbunden mit einem Theater im Gemeindehaus Guggisberg. Das 50-jährige Bestehen feierte man im Sommer 1978 noch mit einem grossen Dorffest. Danach folgte der langsame Niedergang eines Vereins, der zu wenig Nachwuchs fand.

Die Freundschaft lebt weiter

Proben und Konzerte gibt es keine mehr, aber der Kontakt unter den verbliebenen Mitgliedern geht weiter, präzisiert Stöckli: «Der Verein ist nur stillgelegt, nicht aufgelöst. Den Zusammenhalt möchten wir behalten und nützen dazu das restliche Vereinsvermögen.» Fürs Singen im Chor mag es zu wenige Leute haben, aber zum Zusammensitzen, Fondueessen, Lottospielen, Jassen oder für eine gemeinsame Reise reicht es noch lange. Was bleibt, ist eine grosse Dankbarkeit gegenüber den Freunden, Bekannten und Gönnern für ihre langjährige Unterstützung und Treue.

 

Zur Person

Manfred Stöckli (Jahrgang 1941) hat 1960 im Männerchor Zumholz mit dem Singen begonnen, war aber danach berufsbedingt lange Zeit auswärts. Er machte die Lehre als Stationsbeamter bei der BLS in Schwarzenburg, zog mit seiner Familie nach Zweisimmen und war dann auf vier Bahnhöfen Stationsvorstand. Der Vorstand musste damals im Bahnhof wohnen, da es keine Fernsteuerungen gab und die Signale manuell geschaltet werden mussten – teilweise auch mitten in der Nacht. Erstmals bekam er einen «eigenen» Bahnhof 1971, in Niederscherli, durfte dann weiter nach Thurnen, Burgistein und zurück nach Schwarzenburg. «1960 habe ich in Schwarzenburg als Lehrling begonnen und 1998 kam ich als Stationsvorstand zurück – der Kreislauf war geschlossen», fasst Stöckli zusammen. Seit 2003 ist er pensioniert und ist viel unterwegs mit seiner Frau. Höhepunkt war eine Veloreise («damals noch ohne E-Bikes») über eine Distanz von 1280 Kilometern, bis nach Rotterdam. Ziel war, dem Lauf des Wassers aus der heimischen Quelle in Milken bis ans Meer zu folgen.

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