An alle U60: Bitte weiterblättern…

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Ich erinnere mich: In den 60er-Jahren, da wusste ich eine ganze Menge von Telefonnummern auswendig (031 23 63 13 war unsere eigene, 031 22 66 77 die meines Lehrbetriebs Gfeller Sport) in den 70ern kamen noch einige hinzu (unter anderem 054 8 51 26, jene meiner Arbeitgeberin, der Skischuhfabrik Henke). Heute bin ich froh, kenne ich meine Handynummer ohne nachzuschauen. Jene meiner Frau, unserer Kinder? Fehlanzeige. Liegen schriftlich hinterlegt in einer Schublade meines Pults. Für alle Fälle.

Es ist überhaupt so eine Sache mit dem Langzeitgedächtnis. 111 für telefonische Auskünfte. Heute grinsen am TV zwei bekloppte Frauen für Auskünfte auf 2020 (oder 1818?), Erstkontakt zwei Franken, jede weitere Minute ebenfalls zwei Stutz. Nimmt mich bloss wunder, ob diese Auskunftgebenden in der Schweiz hocken. Oder im Ausland, «Was du wolle?». Seinerzeit rief man 164 für Sportresultate an, 20 Rappen pro Anruf, und dies zu einer Zeit, als man in Bern nicht nur am Loeb-Egge nach einem YB-Match bereits den Bund kaufen konnte, auf der letzten Seite mit einem Matchbericht bis zur Halbzeit, die zweiten 45 Minuten wurden eine Stunde später an die Verkaufsstellen geliefert. Nicht bloss die NZZ gab es mit einer Morgen- und einer Abendausgabe, sogar mit einer Mittagsausgabe, wenn ich nicht irre. SRF hiess Beromünster, TSR Sottens, am Radio reportierten Grössen wie Vico Rigassi und Erich Gysling. Die Vorschau zur wöchentlichen Radiowanderung gab es am Freitag vor den Mittagsnachrichten (piep, piep, piep…). In einem BRAVO aus dem Jahr 1963 habe ich in der TV-Vorschau kürzlich gesehen, dass das Schweizer Fernsehen damals in Schwarzweiss von 18 bis 22 Uhr sendete. Danach Nationalhymne und Sendeschluss. Guet Nacht.

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Aber äbe. Mit dem Langzeitgedächtnis lässt sich heute kein Blumentopf gewinnen, «Doppelt oder nüt» mit Mäni Dingsda gibt es ja auch nicht mehr. Überhaupt ist heute alles anders, nicht bloss mit diesen * und / und _ in der deutschen Schriftsprache, die eine Minderheit uns aufzwingen will, weil sie nichts Wichtigeres zu tun hat. Auch das Sändele soll den Kindern im Sandkasten verboten werden, weil Modi und Giele dort mängisch aneinandergeraten und somit den Grundstein für spätere Kriege legen könnten. Vielleicht, möglicherweise, unter Umständen, eventuell. Doch, ja, weit hat es unsere Zivilisation im Wohlstandsland Schweiz gebracht.

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Zurück zum Hirni, im Speziellen zum Kurzzeitgedächtnis, das mir dann und wann einen Streich spielt. Vor allem nachts, wenn ich gerade nicht schlafen kann, hirne ich regelmässig irgendwelchen Namen nach, quer durch den ganzen Gedächtnisgarten. Mal sind es Bekannte, mal ehemalige Bürokolleginnen, dann wiederum Sportler oder Politiker. Das alles ermöglicht mir jedoch ein echtes Gedächtnistraining. Meinem ehemaligen Chef geht es offenbar ähnlich (was, Ihnen auch?). Er hat mir dazu ein taugliches Rezept verraten: Sucht man nach einem Namen, scrollt man die geistige Festplatte alphabethisch ab. Bei den Konsonanten ist das relativ einfach. B und dann darauffolgende Vokale. Ba, Be, Bi, Bo, aber auch Bl oder Bü. Bei Vokalen ist das wesentlich zeitaufwändiger. Ab, Ad, Af, Ag, Al, etc. Oftmals helfen aber auch Eselsbrücken. Vor allem: Fällt mir ein Name wieder ein, schreibe ich ihn auf, für alle Fälle. Das entsprechende A4-Blatt ist beinahe voll. David Bowie und Brian Ferry, Ueli Hab­egger, Yvonne Anderegg, Tyler Palmer, Gina Treglia, Bernie Constantin, Alberich, Roger Assalé und so weiter und sofort.

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Mache ich übrigens auch bei Träumen, sofort aufschreiben, wenn ich Episoden in meine Kriminalromane einfliessen lassen will – was gar nicht mal so selten vorkommt, allerdings nicht, wenn mich Rafael Nadal und Roger Federer in meiner Ferienwohnung in Vercorin besuchen kommen, um dort unerkannt zu bleiben… Übrigens, in meinen Träumen kann ich einerseits regelmässig fliegen, sehe andererseits immer wieder Flugzeuge in Zeitlupe abstürzen und explodieren. Deshalb weiss ich auch, dass ich farbig träume, diese orangeroten Feuerbälle.

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Aber zurück zum Gedächtnistraining. Und jetzt fragen Sie mich bitte nicht, weshalb mir zum Beispiel die Namen der beiden Nati-Fussballer Blerim Dzemaili und Admir Mehmedi immer im Kopf rumgeistern und wieder entfallen. Bei Odermatt, Blättler, Künzi und Kuhn war das einfacher. Egal. Dzemaili merke ich mir mit Che Guevara, denn «Tsche», tönt fast gleich wie «Dze». Und bei Mehmedi denke ich an den Propheten Mohammed, hier an die letzten drei Buchstaben, «Med», hilft auf den Sprung zu Mehmedi.

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Ich habe eine Eigenheit: Alles, was ich per Whatsapp verschicke, lösche ich sogleich, um kein Gnusch zu bekommen. Das führte früher dazu, dass mir Leute für ein Filmli dankten, ich mich aber nicht daran erinnern konnte, was es genau war, weshalb ich heute jede Message zumindest in einem Fall 24 Stunden lang aufbewahre. Dann ist es eh Schnee von gestern.

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Ach ja, wem wollte ich diese Kurzgeschichte eigentlich mailen? Der Könizer Zeitung oder dem Sensetaler? Wurscht, ich sende sie beiden. Sicher ist sicher, und doppelt genäht hält bekanntlich besser.

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