«Cheuele, pickle u schufle»

«Cheuele, pickle u schufle»

«Sensationsfunde» hinter dem Schulhaus begeistern nicht nur den archäologischen Dienst. Die öffentlichen Rundgänge Anfang Dezember waren aufschlussreich – und gut besucht.

Oberbalmerinnen und Oberbalmer erfreuen sich überdurchschnittlich oft an wärmenden Sonnenstrahlen. Nicht so an diesem kalten Tag Anfang Dezember, als zwar hier und dort der Hochnebel aufreisst, aber auch in dieser Höhe die graue Kälte überwiegt. Dennoch haben sich über hundert Personen an der Hinterbergstrasse eingefunden, vom Gemeindepräsidenten über Nachbarinnen bis zu von weiter entfernt angereisten Archäologie-Interessierten. Bevor hier neue Wohnungen entstehen, ist nämlich der Archäologische Dienst des Kantons Bern am Werk – und zeigt den Anwesenden, was bisher gefunden wurde.

Aussergewöhnlich alte Funde
Es gibt über 4000 archäologische Fundstellen im Kanton Bern. Wird an einem Ort, an dem Funde vermutet werden, gebaut, dann gehört das Feld zuerst dem Archäologischen Dienst. Weil Oberbalm bereits 1228 zum ersten Mal schriftlich erwähnt wurde und ein bekannter Wallfahrtsort war, war anzunehmen, dass man hier auf Spuren aus dem Mittelalter trifft. Doch Marianne Ramstein, Stv. Leiterin Ressort Prähistorische und Unterwasserarchäologie des Archäologischen Diensts, erklärt, weshalb der Fall hier speziell ist: «Es war überraschend, wie weit zurück die Funde gehen. Wir kommen mit einem Messer und einer Klinge bis in die Jungsteinzeit. Besonders speziell sind die Sachen aus der römischen Zeit.» Weil die Römer fast ausschliesslich in tieferen Lagen lebten, schien so etwas zuerst als ausgeschlossen. Umso grösser die Freude, als die römischen Dachziegel zum Vorschein kamen. «Diese müssten von einem bisher noch nicht entdeckten Gutshof aus der Region stammen, denn sie wurden in vielen Zeiten wiederverwendet.» Hier in Oberbalm vermutlich als Stütze für Holzpfosten.

Spuren von Pfostenbauten
Spuren von solchen Pfosten fanden die Fachleute hier zuhauf. «Von etwa 600 n. Chr. bis in die Neuzeit bauten die Menschen ihre Häuser mit tief im Boden verankerten Pfosten», erklärt Katharina König. Die stellvertretende Ressortleiterin im Ressort Mittelalterarchäologie und Bauforschung zeigt, woran die Fachleute die Standorte der längst vermoderten Pfosten erkennen, nämlich an der Färbung des Bodens oder an den Keilsteinen, die damals die Holzstämme gestützt hatten. Sie zeigt auf eine Stelle hinter sich: «Hier war ein Grubenhaus, eines von zahlreichen kleinen Gebäude, die um ein grösseres gruppiert waren.» Solche Grubenhäuser waren oftmals Webhütten und wurden als «Frauenhäuser» bezeichnet. Der archäologische Grabungstechniker Andy Marti zeigt nebenan zwei Pfostenlöcher: «Wenn man beim Graben eines Loches Humus mit Unterboden mischt, dann sehen wir dies anhand der Farbe auch 2000 Jahre später noch.» Allein in der Ecke beim Schulhaus haben er und sein Team über 30 Pfostengruben gefunden. Und sie stiessen auf eine Grube mit Knochen, «äuä es Ross», dies sei jedoch in der Nähe von Bauernhöfen nichts Ungewöhnliches. Menschliche Knochen hingegen dokumentiere man genauer.

Viel Keramik
Im Zelt steht der archäologische Facharbeiter Kay Imboden bereit, beantwortet geduldig Fragen und erklärt, was die Besuchenden vor sich haben: «Diese wunderschöne tiefe Grube ist vermutlich eine Vorratsgrube aus der Bronzezeit. Hier fanden wir viel Keramik.» Diese stamme aus der Zeit von 2200 bis 800 v. Chr., «das Züg isch aut», das sei auch für ihn beeindruckend. Weil im Frühling gebaut werden soll, müsse die Dokumentation zügig vorangehen. Viele Leute, so Imboden, stellten sich Archäologen mit Pinsel in der Hand vor. Doch nach einem Baggerabtrag «si mir am Cheuele, Pickle u Schufle», alles sei Handarbeit. Er zeigt die geschliffene Kelle in seiner Hand und die Gäste staunen, dass die Fachleute damit so viel Boden abtragen können. Zuerst putzen sie den Boden und kreisen dann die Funde ein. Mittels CAD vermessen sie alles und erstellen Pläne. «Unser Job ist es, Material zu generieren. Die Archäologen werten es dann aus.»

Den letzten Posten betreut Mittelalterarchäologin Regula Glatz. Sie zeigt neben dem «Sensationsfund», dem römischen Ziegel, einen weiteren Höhepunkt: einen Laveztopf. Dieses auch als Speckstein bezeichnete Material stammt aus dem Aostatal. Nach einer Stunde Rundgang an der Kälte sind die Finger klamm geworden. Doch das Staunen über die Funde aus längst vergangenen Zeiten überwiegt. Auch bei den Expertinnen, die sich täglich damit beschäftigen. Marianne Ramstein fasst zusammen: «In der Archäologie rechnen wir immer mit Überraschungen. Auch dass etwas Älteres unter einer jüngeren Fundstelle auftaucht, ist nicht ungewöhnlich. Dass wir aber eine so vielseitige Fundstelle neu entdecken, ist eher selten und kommt nicht jedes Jahr vor.»

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