Es ist kalt und immer wieder fällt an diesem Abend leichter Regen. Trotzdem herrscht in der Thuja-Anlage im Than eine gelöste Stimmung. Es wird viel gelacht. Sieben Schauspielerinnen und ein Schauspieler, in dicken Jacken und zum Teil mit warmer Mütze, lesen mit Regisseur Reto Lang eine Szene. Sie sitzen auf den Stufen des alten Speichers, jonglieren mit Sätzen, liefern sich Stichworte für den Einsatz. Reto Lang streicht ab und zu ein Wort oder auch einen Satz, passt den Text an. Anschliessend folgt eine andere Szene. Auf der Bühne werden Tische und Stühle angeordnet, Requisiten verteilt, eine Gaststube entsteht. Die Akteure treten auf, nun wird gespielt, der Text sitzt auswendig. Vorstandsmitglied Dominique Hähni souffliert und notiert Anpassungen, die Reto Lang vornimmt. Er verfolgt alles aufmerksam vor der Bühne, springt spontan auf die Bühne, inszeniert einen Wortwechsel neu, rückt das Mobiliar zurecht. Heute muss eine verletzte Zigeunerin in Sicherheit gebracht werden… Momentan wird drei Mal pro Woche von 18 bis 22 Uhr geprobt, dazu Samstag oder Sonntag.
Autor Markus Keller hatte vor 26 Jahren «Ds Vreneli ab em Guggisberg» von Walter Kauer für die Freilichtbühne Schwarzenburg inszeniert. «Diese Fassung hat nichts mit dem ursprünglichen, uns überlieferten Vreneli zu tun und behandelt nur die Vorgeschichte», begründet er seinen Entscheid. Auch mit dem gleichnamigen Theaterstück von Hans Rudolf Balmer konnte er sich nicht anfreunden: «Dieses Volksliederspiel eignet sich nicht für eine Freilichtaufführung – und der Schluss stimmt nicht!»
Markus Keller misst nun in seinem Stück der überlieferten Geschichte und den Fakten mehr Bedeutung bei. Darum spielt das Theater auch im Jahre 1660. Um das Ganze intensiver zu gestalten, baute er neben der eigentlichen Geschichte von Vreneli und Hansjoggeli weitere Erzählstränge ein. Seine Recherchen brachten neue, interessante Tatsachen zum Vorschein (Auswirkungen des Bauernkriegs, Machtstellung König Louis XIV., Auswanderung u.a.). Von der Idee bis zum fertigen Stück benötigte er drei Jahre.
Regie führt Reto Lang. Er und Markus Keller werden in der Freilicht-Theaterwelt das «Dream-Team» genannt. Vor 15 Jahren begann ihre Zusammenarbeit mit dem Stück «Tüüfelspakt» in der Klosterruine Rüeggisberg. Seither inszenieren sie mit grossem Erfolg Stücke für Freilichttheater.
Proben unter erschwerten Bedingungen
Aufführungen unter freiem
Himmel stellen für alle Beteiligten besondere Herausforderungen dar, nicht nur witterungsbedingt. «Bei wirklich schlechtem Wetter proben wir im Schloss», erklärt Dominique Hähni. Beim diesjährigen «Vreneli» kommt noch erschwerend hinzu, dass während der Vorstellung der Ort gewechselt wird. Der erste Teil des Stücks spielt im Thuja im Than, dem traditionellen Spielort des ehemaligen Freilichttheaters. Der zweite Teil findet vor dem gezügelten und restaurierten Tätschdachhaus statt. Es stellt Vrenelis Heim dar. Dies bedeutet, dass nicht nur die etwa 40 Mitwirkenden, sondern auch die rund 250 Theaterbesucher gemeinsam «zügeln» müssen.
Um die Bevölkerung am neuen Ort der Tätschhütte nicht unnötigen Lärmemissionen auszusetzen, finden alle Proben im Than statt. Erst die Endproben werden auf das Schlossareal verlegt. «Dies führt zu einer besonderen Probenproblematik», erklärt Markus Keller. Möchte ein Schauspieler seinen genauen Einsatz-Standort wissen, muss ihn der Regisseur mit den Worten: «Das erkläre ich am Originalspielort bei der Endprobe», vertrösten. Nicht ganz einfach, auch wenn es sich um routinierte und «versierte Laienschauspielerinnen und -schauspieler» handelt.
Inhalt «Ds Vreneli ab em Guggisberg»
Vier junge Burschen treffen sich in der Wirtschaft in Guggisberg. Zur selben Zeit werden draussen Söldner für den französischen König angeworben. Die Wirtin ist froh über die neue Aushilfe Vreneli, welche mit ihrer Anmut die Gäste bezaubert. Vreneli verlor ihren Vater sieben Jahre zuvor im Bauernkrieg und lebt zusammen mit ihrer Mutter Rösli auf dem Lindenhof. Die Wittfrau kann die vom Landvogt erhobenen Steuern nicht bezahlen und verschuldet sich bei ihrem Beistand, dem Ammann Hirschi, der zugleich Vormund von Vreneli ist. Als Vreneli sich zu den jungen Gästen setzt, verlieben sich sowohl Andreas wie auch Hansjoggeli in sie. Andreas wähnt sich im Vorteil, ist er doch der Sohn des Ammanns. Hansjoggeli dagegen, ein Kleinbauer, findet nicht den Mut, Vreneli den Hof zu machen.
Als die Wirtsleute entdecken, dass aus ihrem Vorratskeller Brot und Wurst gestohlen wurden, beschliessen die jungen Leute, Jagd auf den Dieb zu machen. Als die Wirtin in die Gaststube zurückkehrt, macht sie dort eine Entdeckung, die eine Geschichte in Gang setzt, die zu dem tragischen Schicksal von Vreneli und Hansjoggeli führt.
Das bekannte Lied «Ds Vrenli ab em Guggisberg» begleitet die Produktion und wird in verschiedenen Variationen durch den erweiterten Kirchenchor Guggisberg zu hören sein.
Taschentücher mitnehmen Markus Keller hält sich in seinem Stück an die Original-Überlieferung. Er verrät: «Die Theaterbesucher werden gefordert, dies nicht nur wegen der einzigartigen Aufführung und der zwei Spielorte. Es wird sicher auch Tränen geben!»