Am Fuss des Gurtens, in der altehrwürdigen Gurtenbrauerei Beiz schlägt es: das kulturelle und gemeinschaftliche Herz von Wabern. Rhythmisches Klopfen, mal mit lauten Bässen, mal mit feinen Zwischentönen, manchmal schrill, aber seit 6 Jahren regelmässig und stetig. In der «Heitere Fahne» ist Platz für alle. Menschen aus aller Welt, mit Besonderheiten, Behinderungen und Herausforderungen gehen ein und aus und machen den vorher lange Zeit leerstehenden Saal und die Beiz zum Kulturhaus und lebendigen Quartiertreffpunkt.
Strukturiertes Chaos
Im Zentrum von Wabern rumort, pulsiert und sprudelt das Leben. «Es gibt bei uns nur wenig Konzepte, alles entsteht durch die Menschen, die daran beteiligt waren und sind», erklärt Andrea Suter. Seit den Anfängen ist sie als eine der treibenden Kräfte mit dabei. Braucht es ein Wirtepatent, muss eben jemand die Ausbildung machen. Fehlt ein Techniker, bringt sich jemand das nötige Knowhow selber bei. Olivier Eicher, seit 3 Jahren mit dabei: «Hier können alle mithelfen. Man schaut, was kann jemand besonders gut und packt mit an.» So wild und chaotisch das auf den ersten Blick erscheinen mag, so strukturiert ist es auf den zweiten. 42’000 Besuchende im letzten Jahr, 98 kulturelle Veranstaltungen, über 200 Veranstaltungen für das Gemeinwohl (u.a. Mittagstische der Tagesschule), zahlreiche private Anlässe – ohne genaue Absprachen und durchgeplante Abläufe würde ein Betrieb dieser Grösse niemals funktionieren. Seit 3 Jahren kümmert sich deshalb eine Betriebsgruppe um das tägliche Funktionieren, unterstützt von freiwilligen Helfenden.
Kulturbetrieb für alle
Inklusion und kulturelle Teilhabe sind erst seit der neuen Kulturstrategie des Kantons Bern in aller Munde. In Wabern werden diese Grundsätze längst gelebt. «Inklusion soll unmittelbar im Alltag ankommen. Hier ist es normal, sollte es aber überall sein», so Andrea Suter eindringlich. «Wir brauchen eine Gesellschaft, an der alle teilnehmen können», ist auch Olivier Eicher überzeugt. «Mit vielen verschiedenen Menschen zusammenzuarbeiten ist inspirierend und bereichernd für alle, Menschen mit Behinderungen sind inspirierend. Es geht darum, dem Leben einen Sinn zu geben und etwas zu verändern.» Anfangs hätten viele die «Heitere Fahne» bloss als Zwischennutzung gesehen, doch der Kulturort ist längst gut verankert und nicht mehr wegzudenken. Ihren Ursprung nahm sie vor mehr als 10 Jahren in einem Sommerlager von «insieme», einem Ferienangebot also für Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen, das Freunde gemeinsam durchführten. Wenn das gemeinsame Leben während einer Woche so gut funktioniert, wieso dann nicht auch im Alltag? Wieso nicht gemeinsam feiern? Die Festivalreihe «Säbeli Bum» für Menschen mit Beeinträchtigungen wurde ins Leben gerufen und von da an nistete sich der Gedanke immer mehr ein, Raum für gemeinsame Projekte zu erschaffen. Der Zufall führte die Gruppe zum leerstehenden Gebäude mitten in Wabern. Nach zahlreichen Stunden putzen, streichen, hämmern, stromern und dekorieren erstrahlte der 150-jährige Saal in neuem Glanz, erste Veranstaltungen hauchten dem alten Gasthof neues Leben ein. Die «Heitere Fahne» war geboren. «Wir sind laufend dabei, den Ort zu erhalten», erklärt Olivier Eicher heute. Und weiter zu entwickeln, zu gestalten und zu formen. Stillstand? Undenkbar! «Wir hinterfragen uns ständig selber und führen nächstes Jahr einen gemeinsamen Strategieprozess, begleitet von der Uni Basel, durch», so der Ausblick. Auch die Ausrichtung ist im Wandel. Längst geht es nicht mehr – wie zu Beginn – nur um Menschen mit Behinderung, das Gemisch ist viel bunter geworden: Migrationshintergrund, psychische Schwierigkeiten, IV-Bezug. Alle und alles hat Platz.
Zwischen Inseldasein
und Gesellschaft
Dass jeder mit seiner Geschichte und seinem manchmal schweren Rucksack er selber sein darf und wertgeschätzt wird, ist in der «Heitere Fahne» selbstverständlich. Hier ist für viele ein Zuhause, die soziale Verantwortung ist gross. «Wir sind für Menschen da, für die das Sozialnetz der Schweiz keine Antwort hat und zeigen Lücken auf. Suchen alternative Wege und Lösungen.» Nicht immer einfach, ist die «Heitere Fahne» trotz einem gewissen Inseldasein Teil der Gesellschaft. «Wir müssen uns selber immer wieder auf die Finger klopfen», ist sich Andrea Suter bewusst, «auch hier kann es Druck geben, Stress und Überarbeitung.» Dass die «Heitere Fahne» aber mit ihren Werten ins Schwarze trifft, zeigen eingeheimste Preise wie etwa 2018 der Kulturpreis des Kantons Bern – und natürlich die Besucherzahlen. Wenn die Gäste nach einem Abend in der Idealistenkiste selber eine neue Idee mit nach Hause nehmen, ist viel erreicht und die Menschlichkeit der kunterbunten alternativen Dorfbeiz schlägt hie und da in den Besucherherzen weiter.