Zu jener Zeit arbeite ich bei der Schuhfabrik Henke, wohne auch in Stein am Rhein. Weil es mir stinkt, am Weekend beim Besuch der Disco im Rabenkeller Eschenz vor Betreten des Lokals immer die Veloklammern auf Höhe der Knöchel wegzunehmen, entschliesse ich mich zum Erlernen des Autofahrens. Und das bei Herrn Wägeli aus Wagenhausen. Eschenz und Wagenhausen sind Nachbardörfer von «Schtaa». Trainiert wird auf einem Simca 1000, einer viereckigen Kiste. Kosten für eine Stunde: 35 Franken.
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Mein Handicap: Ich kann nicht privat üben, bin allein auf die Fahrstunden bei Herrn Wägeli angewiesen. Nach nur ungefähr 20 Lektionen «überlegt er sich», wie er mir sagt, «mich zur Prüfung anzumelden». Wow! Ein echtes Naturtalent, dieser Bornhauser. Sein Vorhaben ist jedoch Makulatur, als ich fünf Minuten später fast eine ältere Frau auf einem Fussgängerstreifen anfahre. Nur seine Bremse hat das Malheur verhindert. Resultat: Es folgen weitere 20 Stunden bis zum D-Day.
Nun müssen Sie Folgendes wissen: Damals musste man keine Vorkurse belegen, nichts von Nothilfekurs für den Lehrfahrausweis. Theorie und Praxis finden am gleichen Tag statt. Zuerst Theorie, anschliessend direkt ins Auto zur praktischen Prüfung. Wunderbar. Das war noch vorgelebte Effizienz, damals, heute undenkbar.
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Zusammen mit ungefähr 20 anderen Kandidatinnen und Kandidaten sitze ich zur Theoretischen in einer Art Klassenzimmer. Es gilt, dreimal 20 Fragen korrekt mit Multiple Choice zu beantworten. Zum Erfolg darf man nur sechs Fehler machen, nicht aber alle in einem der drei Sektoren, sondern maximal 3×2. Zwei Experten wachen mit Argusaugen darüber, dass wir nicht zur Rechten oder zur Linken spicken. Weil unten Herr Wägeli mit seinem Wägeli auf seinen Fahrschüler wartet, beeile ich mich und gebe – zack – als Erster ab, die Fragen bubieifach. Lachhaft.
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Ich geselle mich zu Herrn Wägeli. «Es isch schampar guet gange.» Zusammen warten wir auf einen Experten, der mich auf der Fahrt begleiten wird, Herr Wägeli bleibt derweil 45 Minuten zurück, vermutlich nicht in einer Beiz beim Bier. «So… wie isch ir Theorie gange?», will ich sofort vom Experten wissen, als er auf uns zuläuft. Er zieht eine Augenbraue hoch. «Nöd so guet.» – «Was heisst das?» Herr Wägeli hört mit. «17 Fähler, Sie müend für d’Theorie nomol cho.» Hä? Wie denn das?
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Mit diesem Desaster setze ich mich ans Steuer, sehe aber noch knapp, wie der Experte zu Herrn Wägeli schaut, der emotionslos mit den Schultern zuckt. Heisst für mich: Für den zweiten Anlauf mit den SBB nach Schaffhausen. Wie sagt man da? Selber schuld.
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Während unserer Fahrt durch Schaffhausen mag der Experte nicht über meine Theoretische sprechen, sagt eigentlich nur: «Da vore links.» Oder rechts. Nach ungefähr einer halben Stunde möchte er in den «Herrenacker» gefahren werden. Kein Problem, kenne ich, nächste Strasse links, mache ich, Blick in den Rückspiegel, Blinker nach links betätigen. Nach ungefähr 30 Metern muss ich anhalten und retour fahren. Bornhauser immer viel schlau, ich weiss, dass man dazu die Strassenseite wechseln muss. Mache ich. Als wir wieder bei der Strasseneinfahrt sind, halten wir. Der Experte zeigt mit der linken Hand auf eine Verkehrstafel. «Herr Bornhuser, wüsset Sie, was die Tafele bedüütet?» – «Aha, ja, sicher… Eibahnstrass.» Super.
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Als wir wieder zu Herrn Wägeli stossen, meint der Experte, dass es «nöd schlecht» war, ausser der Einbahnstrasse und dem Rückwärtsparkieren (immerhin im zweiten Versuch geradezu göttlich gelungen). Weil ich eh nochmals antreten müsse, drücke er beide Augen zu. Bestanden. Und beim zweiten Anlauf gelingt auch die Theorie, weil ich inzwischen entsprechende Fachliteratur gelesen habe. Party!
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Wenn ich heute auf über 50 Jahre Autofahren zurückblicke, muss ich sagen – auch in dieser Beziehung hatte ich immer Glück. Im Februar 1972 habe ich beispielsweise vor… Bornhausen (liegt oberhalb Eschenz) die Kontrolle über einen Firmen-Käfer mit Spikes in einer Kurve abwärts verloren, so dass er in einem Wald auf dem Dach landete. Mir passierte nichts, als Erstes habe ich den Motor abgestellt, dann den Garagenchef angerufen, Herrn Gehri. Der Käfer wurde repariert, zwei Wochen später prallte damit mein Henke-Kollege François Boillat («Je suis à Stein sur Rhin pour vous apprendre le français.») in eine Kuh, die sich in einer Kurve auf die Strasse verirrt hatte. Der Wagen hatte definitiv ausgedient. Was mit der Kuh passierte, daran erinnere ich mich nicht mehr.