Gurten, Glitzer, gemischte Gefühle

Gurten, Glitzer, gemischte Gefühle

Hitze, Hagel, Regen. Das Festival hatte zur 40. Ausgabe nicht nur wettermässig einiges zu bieten, sondern auch musikalisch. Diversität war den Organisatorinnen spürbar wichtig. Im Widerspruch dazu kam es im Publikum zu diskriminierenden Zwischenfällen, die dem Festival und der allgemeinen Stimmung nicht gerecht wurden.

Der erste Tag begann sogleich mit einigen Regenschauern, sogar mit Hagel. Oder wie es die deutsche Rapperin Nina Chuba später auf Instagram dokumentierte: «Ich wäre noch im Fluss gebadet, aber es ging nicht, weil es Eisklötze geregnet hat.» Vom Wetter liess sich das Publikum aber nicht zurückdrängen, als die Reggaetongrösse J Balvin auftrat. Und auch als am vierten Tag während dem Konzert von Lo und Leduc dunkle Gewitterwolken aufzogen und das Publikum immer wieder von Regenschauern übergossen wurde, lautete das Motto: Pellerine oder Regenjacke montieren, weiterhören und -singen.

67 Bands, 37 aus der Schweiz, 16 aus Bern

Das Festival war gut besucht, was vor allem zum Wochenende hin zunehmend spürbar war. Insgesamt 98’500 Besuchende verteilt auf fünf Tage, im Schnitt also knapp 20’000 pro Tag. Von 67 Bands waren 37, also mehr als 50 %, Schweizer Bands und Acts. 16 davon aus Bern. Viele von ihnen, etwa Nativ, Jule X, Dana, Veronica Fusaro oder Tashan, waren gut besucht. Einige so gut, dass man kaum mehr Platz fand. Wie etwa bei Nativ. Oder bei Jule X im Soundgarden, als der Boden die Menge des Publikums nicht mehr tragen konnte. Der Rapper hatte am nächsten Tag gleich noch einen Auftritt – denn durch eine verspätete Band musste ein Ersatz auf der Zeltbühne her.

Diversität grossgeschrieben

Diversität bei den Acts war für die Festivalorganisatorinnen zentral. So achteten sie nicht nur auf die Anzahl der Berner Bands, sondern auch auf die Frauenquote (die Hälfte der Bands bestand nur aus Frauen oder hatte mindestens ein weibliches Mitglied). Diversität zog sich auch durch die verschiedenen Musikstile (Hiphop, Rap, Indie, Afrobeats, Reggaeton, Elektro, Fusion, Soul, R&B etc.) und durch die Acts an sich. So gab es neben vielen anderen Künstlerinnen und Künstlern etwa Musik vom Afroamerikaner Lil Nas X, den nigerianisch-britischen Künstlern Rema und Jacob Banks, der angolanisch-portugiesichen Sängerin Pongo, vom nigerianische Sänger Obongjayar oder der sambianischen Sängerin Sampa the great.

Vermeintlich friedlich

Starke Acts, zeitgemässes Festival. Eigentlich. Denn ganz im Gegensatz zur guten Stimmung und zum mehrheitlich friedlichen Zusammensein kam es während des Gurtenfestivals zu diversen diskriminierenden Ereignissen. Beim Auftritt des homosexuellen Rappers Lil Nas X soll es zu homophoben Zwischenrufen aus dem Publikum gekommen sein. Das Kollektiv café révolution, ein Begegnugsort von schwarzen Frauen für Menschen, die von anti-schwarzem Rassismus betroffen sind, hatte am Festival einen Stand, bei dem das Depot von Tellern, Bechern und Besteck gespendet werden konnte. Infolge von rassistischen und gewaltvollen Vorfällen musste das Kollektiv seinen Stand jedoch frühzeitig schliessen. Ihnen sei von Beginn an bewusst gewesen, dass es an einem Festival zu übergriffigem und diskriminierendem Verhalten kommen könne. Entsprechende Vorkehrungen seien getroffen worden, schrieb das Kollektiv am vierten Festivaltag in einem Statement auf Instagram. «Das Ausmass der Gewalt und des Rassismus, mit dem wir konfrontiert wurden, überstieg jedoch, was wir unserem Team und uns zumuten wollen.» Das Gurtenfestival-Team meldet sich am gleichen Tag wie das Kollektiv auf Instagram ebenfalls zu diesen Vorfällen. Sie hätten nicht mit rassistischen Vorfällen gerechnet. «Dass die (Gurten-)Gesellschaft so reagiert, erschreckt uns und führt uns einmal mehr vor Augen, dass wir nicht dort sind, wo wir als gesamtheitliche Gesellschaft sein sollten.»

Grosser Widerspruch

Ein diverses Festival, dessen Organisationsteam Diversität grossschreibt. Das versucht, einen Anlass zu veranstalten, an dem alle willkommen sind, an dem sich alle wohl fühlen. Und dessen Publikum, oder aber zumindest Teile davon, offensichtlich noch nicht so weit sind. «Dieses Festival ist gefüllt mit Schwarzer Musik, Kunst und Kultur, die bereitwillig konsumiert wird. Das steht im starken Widerspruch zur Behandlung von vielen schwarzen Menschen auf dem Gelände», schreibt café révolution in einem Statement. Nach dem diesjährigen Gurtenfestival bleiben trotz starker Acts und vielen positiven Emotionen auch traurige Gefühle zurück.

 

Ein paar Konzertrückblicke

Apache 207

Der Deutsche Rapper aus Ludwigshafen, im Auftritt so cool wie auch bodenständig, fiel insbesondere durch die eher ruhigen Songs seines neusten Albums «Gartenstadt» und des selbstironischen Touches auf. Mit einer Viertelstunde Verspätung, dem Wetter geschuldet, begann Apache 207 mit einem Cover von «In the Air tonight» von Phil Collins. Das Publikum sang mit, die Stimmung war gut. Insbesondere, als der deutsche Künstler in einem Boot stehend mitten durchs Publikum fuhr, allen zuwinkte, während die Filmmusik von Titanic ertönte.

Tashan

Tahshan aus Münsingen überzeugte nicht nur durch ihre Gesangskünste mit ihrer Mischung aus Electro-Pop-Musik und mitreissenden Beats, sondern auch mit ihrer lockeren und sympathischen Art. In ihren Texten, Englisch und Schweizerdeutsch gemischt mit Deutsch und Französisch, sang sie über Liebe und Träume. Die Bernerin hatte am Gurten gleich zwei Auftritte. Neben der Waldbühne trat sie am Sonntag auch zusammen mit dem Swiss Jazz Orchester auf.

Hecht

Die fünfköpfige Luzerner Band kam, spielte und feuerte den Gurten ein. Er wisse, wie schwierig es sei, als Schweizer Mundartband anzufangen. Insbesondere, wenn man nicht aus Bern komme, wo Grössen wie Polo Hofer, Züri West und Patent Ochsner herkommen. «Umso schöner ist es, hier auf dem Gurten zu sein, und ihr singt unsere Texte mit – sogar auf Berndeutsch», sagt Sänger Stefan Buck zum Publikum. Hightlight des Konzerts: Als zum Schluss von vorne bis hinten zum Supermercado zu «Charlotta» mitgesungen und gesprungen wird. Farbige Riesenballons inklusive.

Rosalía

Rosalía, die im futuristischen Stil auftrat, performte als Sängerin wie auch als Tänzerin wie in einem Live-Videoclip, vermischte Reggaetonbeats mit Flamenco, Elektro und Piano und zeigte sich nahbar und authentisch. Die Zuschauerschaft war begeistert. Und spätestens als sie von ihrem Sprung in die Aare erzählte («Zuerst war es eiskalt, als ich dann aber aus dem Wasser kam, fühlte es sich so gut an»), eroberte sie auch noch die letzten Herzen des Publikums.

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