Wenn Wörter Bilder werden

Wenn Wörter Bilder werden

Der Psychologe, Heilpädagoge Dr. Phil. sowie Logopäde präsentiert zwei neue Gedichtbüchlein. Ein oder besser gleich ganz viele Blicke hinein lohnen sich, enthalten sie doch ein facettenreiches Panoptikum an Lebenseinsichten.

Zu seinen Gedichten sagt der ehemalige Direktor der Sprachheilschule Wabern: «Mit ihnen abtauchen in eine andere Welt, was einem nah geht, in die passende Form bringen.» Leder begann nach der Pensionierung intensiv mit dichterischem Schreiben, experimentiert mit neuen Sprachformen und lässt seiner Fantasie freien Lauf: 

Ich dichte ein gedicht

ich suche seltene worte

kreiere einen wortsalat

würze ihn mit metaphern

dichte so ein gedicht

ich suche eine katastrophe

schere die kata weg

kardiere die strophe

verdichte sie zum gedicht

ich schere ein dichtschaf

wasche die dichte im wollbad

kardiere sie mit der handkarde

freue mich am gedicht

So gibt es im Gedichtband «Goldener Flügelschlag» Untertitel, wie «rap-art, mund-art, haikus, heiterkeit» oder auch «endgültig». Er sammelt chinesische Metaphern und liest chinesische Übersetzungen. Haikus, die japanischen Dreizeiler (bestehend aus den Silben 5-7-5) erweitert er mit zweimal 7 Silben, sodass Tankas daraus entstehen. Und in seinem Dach-Schreib-Zimmer steht eine Vitrine mit kobaltblauen Tässchen. Leder bewahrt Tassen und Wörter auf. Die blauen Tassen seiner Ahnen haben ihn zu diesem Gedicht, einem ma-
laysischen Pantun (Zeile 2 wird in der nächsten Strophe Zeile 1, und Zeile 4 wird Zeile 3) inspiriert:

kobaltblaue freunde

blaufreunden blaue stunde bläut

sie prahlen gern mit geschichten

verwoben mit der guten alten zeit

den tassen im schrank es sehr gefiel

sie prahlen gern mit geschichten

als urgrosi den urgrossvati verführte

den tassen im schrank es sehr gefiel

wenn urgrossvati um zucker und mehr bat

als urgrosi den urgrossvati verführte

mit kobaltblauen tässchen kaffee

wenn urgrossvati um zucker und mehr bat

kamen sie sich dabei immer näher

mit kobaltblauen tässchen kaffee

spielten die beiden ihr liebes-abc

kamen sich dabei immer näher

tranken aus blau das ganze leben

so spielten die beiden ihr liebes-abc

blaufreunden blaue stunde bläut

tranken aus blau das ganze leben

verwoben mit der guten alten zeit

Ob Leder auch an die blaue Stunde kurz vor Eintritt der Nacht gedacht hat?

Sein Gedichtbüchlein «Goldener Flügelschlag» ziert ein fremdartiges Pfauenauge. Bei den Indianern stand der Schmetterling für den Geist einer verstorbenen Person. Den Lebenden ein Zeichen, dass aus einem Tod neues Leben entsteht. Viele von Leders Gedichten sind mit einer leisen Melancholie oder auch von einer aufbäumenden Traurigkeit durchzogen, so z.B.:

aylan

seh ich hin schau ich weg

du fortgespülte menschlichkeit

rotes shirt blaue hose

gesicht vergraben im sand

von möven überwacht

von flutwellen liebkost

zwischen bodrum und kos

ein dreijähriger bub als

flucht- und totmeeropfer

eingesargt im sandstrand

familie vor terror auf der flucht

mutter und vater ertrunken

aylan ausgespuckt von

der gierigen drachensee

eines von tausend kindern

schwemmgut im flüchtlingsstrom

führt uns die not vor augen

sein elend wirkt grenzenlos

brennt sich medial verbreitet ein

erinnert an unsere enkel

löst schuldgefühle aus

du fortgespülte menschlichkeit

seh ich hin schau ich weg

Gedichte, welche berühren, bewegen. Auch hört Leder genau auf unsere Alltagssprache:

plattitüden

die zeit heilt alle wunden

lass gras darüber wachsen

das leben geht weiter

das darfst du nicht so eng sehen

die welt ist gross und weit

die zeit heilt alle wunden

kommt zeit kommt rat

warte doch erst mal ab

das leben geht weiter

Nach einem Wettbewerb hat er begonnen, Tiergedichte zu schreiben. Er liest sie im Altersheim Kühlewil vor und seine Frau, Therese Stähli, liest Mundartgeschichten.  Diese Gedichte erfreuen ältere Menschen und Kinder gleichermassen. Kinder mit Beeinträchtigungen und gesunde Kinder haben oft eher Zugang zu Tieren als wir. Bei Erwachsenen geht vieles über den Kopf, was bei Kindern emotional erlebt wird. Im Bändchen «Tierisches A-Z & Fabelhaftes» finden sich z.B. folgende Gedichte:

Als du mich nanntest bös`Kamel,

da meint ich trocken: Du Eseeel!

Fuchs und Teufel

Fuchs, du hast die Gans gestohlen,

soll dich doch der Teufel holen!

Doch der hat lieber Gänsebraten,

will das dem Fuchs wohl nicht verraten.

Zieht diesen fest an beiden Ohren,

der Fuchs nun schreit, hat so die Gans verloren.

Der Teufel packt die Beut` geschwind,

seither ist Fuchs fuchsteufelswild.

Leder trifft sich regelmässig über das Internet in einer Stuttgarter Schreibwerkstatt, um Texte gemeinsam anzuschauen, an Gedichten und Sprachrhythmus mit Schreibprofis zu arbeiten. Bereits zum sechsten Mal kann Leder am Meisterkurs «Lyrik» am Schwäbischen Kunstsommer in Irsee teilnehmen.

Zur Freude ein Gedicht!

Teilen Sie diesen Bereich

Beitrag:
«Wenn Wörter Bilder werden»

Die meistgelesenen Artikel

Kontakt

Datenupload

Der einfachste Weg uns Ihre Daten zu senden!

Werbeberatung

Schritt 1 von 2