Wo Not herrscht, ist er zur Stelle

Wo Not herrscht, ist er zur Stelle

Als Anfang Februar ein Schweizer Rettungsteam ins türkische Erdbebengebiet reist, ist der Gemeinderat Sebastian Eugster als Leiter dabei. Es ist nicht sein erster Einsatz dieser Art.

Am 6. Februar ist Sebastian Eugster mit seiner Familie in den Skiferien. Am Morgen stellt er sein Handy an – sofort kommen Dutzende Nachrichten und Meldungen rein: Im türkisch-syrischen Grenzgebiet hat ein starkes Erdbeben riesige Schäden angerichtet. Eugster weiss sofort: Heute geht er möglicherweise nicht mehr auf die Piste. Der 49-Jährige, der seit rund zwanzig Jahren bei der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA tätig ist, gehört der Rettungskette Schweiz an, die bei solchen Katastrophen ausrücken und Soforthilfe leisten kann. Mit seiner Berufserfahrung zählt er zu den möglichen Einsatzleitern. «Ich sagte meiner Familie, dass ich gerne zusagen würde, sollte der Anruf kommen.»

Schwierige Entscheide

Wenig später ist er zuhause, wo ihm eine Stunde bleibt, um das Einsatzmaterial umzupacken. Noch am selben Tag reist er mit knapp 90 weiteren Angehörigen der Rettungskette in die türkische Provinzhauptstadt Antakya. «Wir brachten 18 Tonnen Material mit», erzählt er. Einerseits ist dies Ausrüstung für die eigene Basis – Zelte, Generatoren, IT-Material, Beleuchtung und Nahrungsmittel. Dazu kommt das Rettungsmaterial: Kompressoren und Schneidgeräte, um Beton und Metall zu durchdringen, Hebekissen und Bauabstützungen. 

Vor Ort kommt ein Koordinationssystem zum Einsatz, das nach UNO-Standards aufgebaut wurde. So werden die Stadtquartiere je einem der insgesamt 17 internationalen Teams zugeteilt. «Wir arbeiteten Schadenplatz um Schadenplatz und Quartier um Quartier ab», so Eugster. Bauingenieure beurteilen, ob ein eingestürztes Gebäude stabil genug ist, um die Rettenden nicht zu gefährden. Teilweise müssen schwierige Entscheide gefällt werden. Etwa dann, wenn aus vielen verschiedenen Häusern Lebenszeichen kommen. «Wir mussten uns auf Objekte konzentrieren, wo wir am meisten bewirken konnten.» Teilweise sterben die Menschen, während sich die Helfenden zu ihnen vorarbeiten. «Wir sprachen noch mit ihnen, aber kamen trotzdem zu spät», erinnert er sich zurück. 

Schnell vor Ort, gut vernetzt

Elf Menschen kann Eugsters Team lebend retten, darunter eine aus dem Krieg geflüchtete syrische Familie mit einem Baby: «Das gab uns die Energie, weiterzuarbeiten.» Elf Lebendrettungen – seit langem hatte die Rettungskette Schweiz nicht mehr so viele Opfer lebend bergen können. Die letzten Lebendrettungen der Organisation gab es gar vor über zwanzig Jahren beim verheerenden Erdbeben im indischen Bundesstaat Gujarat. Die Schweizer Ersthelfer reisen nicht bei jeder Naturkatastrophe an. «Zentral für den Einsatzentscheid ist, dass wir innert nützlicher Frist vor Ort sein können», erklärt der erfahrene DEZA-Mitarbeiter. Wichtig sind gute Beziehungen zu den Behörden des betroffenen Landes. Die Einsatztruppe reist nur an, wenn diese offiziell um Hilfe bitten. «Die Schweiz hat einen Botschafter in Ankara und einen Konsul in Istanbul, die uns in der Logistik unterstützten. Dies trug zum Erfolg der Mission bei», so Eugster. 

Ins idyllische Rüeggisberg

Sebastian Eugster ist von Geburt an «international geprägt». Er kommt in Kenia zur Welt, wo seine Eltern arbeiteten. Nach einer weiteren Station in der Elfenbeinküste reist die Familie heim ins Toggenburg. Für sein Geografiestudium zieht er bewusst nach Bern: «Ich wusste schon damals, dass ich mal im Ausland arbeiten möchte, am liebsten für die DEZA.» Dort müssen die Angestellten alle vier Jahre die Stelle wechseln – meist im Wechsel zwischen Feld und Zentrale. Eugster und seine Frau – sie ist Thunerin – heiraten darum in Tadschikistan. In dieser Zeit wird  auch die Tochter geboren; der Sohn kommt in Peru dazu. Als die Kinder ins Schulalter kommen, reist die Familie aus Bolivien zurück in die Schweiz. «Wir hielten Ausschau nach einem älteren Bauernhaus in der Region Bern», erzählt Eugster. Ihr Haus in Rüeggisberg sei ein Glücksfall gewesen. Der Weitblick in die Berge, die Lage im Naturpark Gantrisch, die Nähe zu Bern und Thun – «es ist ein guter Ausgleich zu meiner Arbeit», sagt er. 

Lokale Behörden

Eugster ist Stabschef in der Abteilung für Asien, Lateinamerika und die Karibik der DEZA. Mehr als die Hälfte aller Hilfseinsätze finden in dieser Region statt: Wirbelstürme, Überschwemmungen, Erdbeben tragen dazu bei. Trotzdem engagiert er sich in seiner Wohngemeinde als Gemeinderat. «In allen Ländern, bei allen Einsätzen, hatte ich immer mit den lokalen Behörden zu tun. Darum war ich sehr offen dafür, als die Anfrage kam», erzählt er. In der Bundesverwaltung sei er trotz den Einsätzen doch z.T. weit weg von der Realität der Menschen vor Ort. Als Gemeinderat hingegen werde er direkt mit konkreten Anliegen konfrontiert. «Als Gemeinderat stellen sich mir dieselben Fragen wie einem Gemeindepräsident in Tadschikistan oder Bolivien. Auch er muss schauen, dass das Wasser fliesst», schlägt er den Bogen aus der Ferne ins Hier.

Ja, es sei viel, bestätigt er. Die ganze Familie helfe aber, mitzutragen. Ein unerwarteter Einsatz wie in der Türkei ist nur möglich, wenn das Umfeld dies unterstützt. 

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