Vom Fussballplatz ins Sägemehl

Vom Fussballplatz ins Sägemehl

Vor drei Jahren tauchte in den Notenblättern der Mädchen- und Frauenschwingfeste ein neuer Name auf – es ist die einzige im Verteilgebiet dieser Zeitung wohnhafte Schwingerin neben der heuer zurückgetretenen Schwingerkönigin Angela Riesen: Vanessa Jung – doch spielte sie nicht Fussball beim FC Wünnewil-Flamatt?

«Ich bin per Zufall aufs Schwingen gestossen», erzählt Vanessa Jung an einem herbstlichen Abend. Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen besuchte sie nämlich vor drei Jahren das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest. Bislang hatte sie den Schwingsport höchstens am Rande verfolgt, wenn sie auch immer mal wieder meinte, Schwingen oder Rugby würde sie noch «gluschten» – Hauptsache etwas mit Körpereinsatz.

Tanzen, Fussball, Schwingen

Da war die 30-Jährige schon seit 15 Jahren aktive Fussballerin. Als Schülerin tanzte die junge Vanessa in einem Studio in Ueberstorf, doch das «Schüttele» mit ihren Freundinnen gefiel ihr auch. So sehr, dass die Fünftklässlerinnen kurzerhand den Schulhauswart fragten, ob er sie trainieren würde. Jungs Vater holte sie im Tanztraining ab und fuhr sie zum Fussball, unterwegs schlüpfte sie ins Trikot, montierte Schoner und Stulpen. Daneben absolvierte sie die Lehre als Fachfrau Gesundheit. Nach der Coronazeit stieg die linke Innenverteidigerin mit Wünnewil-Flamatt in die 3. Liga auf. «Technisch war ich nie so gut», kommentiert sie rückblickend, «doch mit gutem Körpereinsatz machte ich das wett.» Und dann sass sie auf der ESAF-Tribüne und fand Gefallen am Schwingsport. Nur Wochen später, im Herbst 2022, besuchte sie erstmals ein Training eines Kollegen. Kurz darauf fing Jung bei den Bernerinnen an und trainiert seit da unter Richard Tschanz in Zäziwil und Thun.

Sport, Verein, Politik

Eine Saison lang jonglierte die Flamatterin, die in der Zwischenzeit noch die Ausbildung zur Pflegefachfrau absolviert hatte und deshalb das Tanzen aufgeben musste, zwischen einem 100%-Job mit drei Schichten, zwei verschiedenen Trainings und an den Wochenenden mal einem Fussballmatch, mal einem Schwingfest. Ein volles Programm, könnte man meinen. Doch daneben engagiert sie sich auch in der Politik. Acht Jahre im Generalrat, anschliessend und bis heute in der Jugendkommission und, obwohl sie nicht mehr aktiv Fussball spielt, im Anlässe-OK des FC. «Das Vereinsleben ist etwas unglaublich Schönes», schwärmt sie. Und eigentlich möchte sie sich politisch noch stärker einsetzen. «Mit meinem Beruf ist das von den Zeiten her leider nicht möglich.» 

Technik, Kraft, Beweglichkeit

Vanessa Jung erinnert sich noch gut an ihr erstes Schwingfest: Die ganze Familie und viele Freundinnen waren zur Unterstützung angereist. «Ich gewann sogar mehrere Gänge. Das war solch ein gutes Gefühl.» Mit 1.55 m gehört sie nicht zu den grössten Schwingerinnen. Umso wichtiger ist die Technik. Schliesslich ist auch die 1.60 m grosse Diana Fankhauser schon zweimal Königin geworden. «Als Quereinsteigerin fehlt mir die Basis. Doch durchs Tanzen bin ich beweglich und dank dem Fussball fit.» Die Grundschwünge kenne sie mittlerweile; jeweils über den Winter lerne sie neue dazu. Sobald die Saison beginnt, arbeite man jedoch mit dem, was man beherrsche, alles andere mache kaum Sinn. «Einzelsportlerin zu sein ist eine spannende Erfahrung. Bei einem Fehler bin ich nun selbst schuld.» Im Unterschied zum Fussball trete sie schweizweit an, nach einer teils langen Anreise sind die Tage von der Notenblatt-
ausgabe bis zur Rangverkündigung lang. «Nach einem wenige Minuten kurzen Kampf bin ich kaputter als nach einem 90-Minuten-Match.» Hingegen sei das Schwingen für sie nicht schmerzhafter als die Sportjahre vorher. Im Gegenteil: «Seit ich schwinge, habe ich nach einer langen Schicht im Spital keine Rückenschmerzen mehr.» Gerade in der Pflege schwererer Patienten schade die gewonnene Kraft nicht, ihre Kolleginnen hätten bereits gewitzelt, ob sie nun den «Mobilisationsschwung» anwende.

Sprüche, Kritik, Erstaunen

Von den rund 15 aktiven Bernerinnen, darunter auch der in Neuenegg aufgewachsenen Fabienne Mäder, sei sie gut aufgenommen worden. Manchmal gäbe es den einen oder anderen Spruch zu ihrer Fussballvergangenheit, aber ihr zu Ehren hätten sie im letzten Abschlusstraining gemeinsam Fussball gespielt. Ja, es seien zum Teil schon unterschiedliche Welten. Und sie habe gemerkt: «Wer Frauenfussball kritisiert, kritisiert auch Frauenschwingen.» Dass Männer Fussball spielen und schwingen, ist in vielen Köpfen verankert. Dass jedoch auch Frauen schwingen, sorge deshalb immer wieder für Erstaunen. Im Fussball werden die Frauen immer stärker wahrgenommen, im Schwingen stehen vor allem die Männer im Rampenlicht. «Ich mag ihnen das gönnen.» Gleichzeitig hofft Jung, dass die Schwingerinnen aus dem Schatten der Männer treten können.

Vanessa Jung ist eine, die mit Energie und Lernbereitschaft Räume erobert. Sie meistert Balanceakte im Alltag zwischen Pflege, Familie, Sport und lokalem Engagement – und etabliert sich immer stärker im Sägemehl.

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