Wohin mit 45’000 Worten?

Wohin mit 45’000 Worten?

Seit sechs Jahren nutzt Codec O sein Schreiben als Ventil und kombiniert seine gereimten Gedanken mit passenden Beats. Ein Album und ein Mixtape hat er bereits veröffentlicht, nun wartet eine umfangreiche Ideensammlung auf ihre Verwendung.

Der Beat klingt nach Strand und sorgenfreien Sommertagen, die Worte zelebrieren Zeile für Zeile Freiheit und jugendliche Ungebundenheit: «I gloub es git keh Ort woni lieber wär, i sippe Fläsche, i bi vou, dr Terminkaländer läär, wär wott mi stresse? Säg mr wär. Aloe Vera Pflanze wachse näbem Wäg.» Es ist Mittwochvormittag. Aloe Vera Pflanzen sind weit und breit keine zu sehen, der Bahnhof Bern hat mit dem mediterranen Ambiente des Songs wenig gemeinsam. Pendelströme, Verkehrslärm. Doch es ist einer dieser warmen Tage, die bereits grosszügig sommerliche Vorfreude verteilen. Rapper Codec O, alias Olivier Bienz, bringt denn auch sonnige Leichtigkeit mit ans Gespräch. In seinen Songs geht es – wie in «Aloe Vera» – oft ums Zurücklehnen, das Sich-Treiben-Lassen, Lebensgenuss.

Zeile, Track, Album

Der Alltag sieht anders aus. Codec O ist umtriebig. Zahlreiche Texte, Zeilen, Fragmente, Ideen haben sich in den letzten Jahren angesammelt, rund 45’000 Worte warten auf ihr weiteres Schicksal. «Ich probiere, eins nach dem anderen zu nehmen», lacht der junge Rapper, «aktuell nehme ich mir endlich Zeit, die Fragmente zu bearbeiten.» In welche Form er diese Sammlung giessen soll, weiss er noch nicht. Vielleicht gibt es einige EPs mit Tracks, die provokativ und nicht ganz lupenrein daherkommen. Vielleicht ein Spassprojekt, einen Abstecher in den Technorap. Oder vielleicht ein neues Album mit einer ganz bewussten Songauswahl und der Möglichkeit, sich selbst als Künstlerperson in ein passendes Licht zu rücken, nah und ehrlich. Wahrscheinlich ist, dass Codec O alle drei Optionen umsetzt. Gegen starre Konzepte wehrt sich der junge Musiker. Rollende Planung entspricht ihm mehr, vieles läuft parallel. Aus einer Zeile wird ein Track, ein Album, eine Gesamtidee. «Wenn man sich dann die Perlen, die guten Ideen, die man hatte, rauspicken kann, so dass es ein tolles Gesamtpaket gibt, dann ist es nicer, als einfach etwas rauszuhauen», weiss der Rapper.

Mehr als nur Sound

Seit vier Jahren macht sich Olivier Bienz als Codec O einen Namen in der Berner Rapszene. Die Leidenschaft für den Musikstil entdeckte er bereits in seiner Schulzeit. Immer mehr vertiefte er sich in den Rap, hörte sich quer durch das Genre. «Mich hat es fasziniert, da es für mich einen höheren Unterhaltungswert hat als Pop. Der Fokus liegt auf dem Text. Ich liebe es, mich in eine Geschichte zu versenken», sinniert der Rapper, «es ist mehr als nur der Sound.» Am Openair Frauenfeld kam es in einer Kollegenrunde erstmals zu einem Freestyle. «Grottenmies», schmunzelt Olivier Bienz bei der Erinnerung. Aber er habe schnell gemerkt, dass ihm die Muster und Rhythmen vertraut waren. Richtig Feuer fing er, als er für einen Freund zum Geburtstag einen Track schrieb. Schreiben, aufnehmen, abmischen, Clip drehen – alles selfmade: «Ich merkte, ich war richtig im Flow, es gab während zwei, drei Wochen nur noch dieses Projekt.» Danach sprudelten die Ideen, Sprachspielereien, einzelne Lines, teilweise fast tagebuchartig, fanden ihren Weg aufs Papier. «Ich habe begonnen, Texte zu schreiben zu Themen, die mich beschäftigt haben, und tausend Sachen angefangen, aber nichts wirklich fertig gemacht», erinnert sich der Vierundzwanzigjährige. Bis dann plötzlich und wie von selbst doch ein Track fertig wurde und in einer einzigen, übermütigen Nacht im Studio den Weg auf Soundcloud fand.

Besiegte Selbstzweifel

Angst vor dem Scheitern war damals kein Thema: «Bei dieser Musik wusste ich von Anfang an, dass es nice ist, was ich da mache. Ich kann voll dahinterstehen.» Mit seinem ersten Album «Verhandlige mit Geister» traf Codec O offensichtlich einen Nerv, die Rückmeldungen gaben viel Bestätigung. Als während dem Lockdown alle zuhause festsassen, warf der Rapper seine Ideen ungefiltert zu einem chaotischen Mixtape zusammen. «Sunday League & Trash Talk» steigerte seine Reichweite, die Ambitionen wuchsen, der Druck stieg. Und bei Codec O war kreativer Stillstand. «Versagensängste hinderten mich am Weiterschreiben, ich hinterfragte alles», erzählt er. Selbstzweifel nagten an jeder Zeile, jedem Wort, jeder Idee. Die Blockade war komplett. Schliesslich zog Codec O seinen Social Media Accounts den Stecker und fokussierte sich auf sich selbst. Die Pause tat gut, die Ideen fliessen wieder und das Schreiben ist erneut Ventil für alles Mögliche: Lebensfreude und Gelassenheit, Kapitalismuskritik und ein paar Takte hässige Aufmüpfigkeit.

Codec O hat noch längst nicht genug. Jugendlicher Zukunftshunger und Freude an kreativen Eskapaden sind zurück, er freut sich auf die nächsten Releases. Unter Druck setzt er sich aber nicht mehr, vielmehr geniesst er die künstlerischen Möglichkeiten und bleibt ganz bei sich: «Der Fokus liegt auf den nächsten Schritten. Wenn ich mache, worauf ich Bock habe, kommt es gut an.»

Teilen Sie diesen Bereich

Beitrag:
«Wohin mit 45’000 Worten?»

Die meistgelesenen Artikel

Kontakt

Datenupload

Der einfachste Weg uns Ihre Daten zu senden!

Werbeberatung

Schritt 1 von 2